Maja Ilisch - Die Spiegel von Kettlewood Hall

    • Ich kannte die Autorin Maja Ilisch bereits von einem vorherhigen Buch, dem „Puppenzimmer“, welches eher in den Bereich der reinen Fantasy gehörte. Maja Ilisch hat sich weiterentwickelt, und hat dieses Buch, die „Spiegel von Kettlewood Hall“, zu einer ansprechenden Mischung aus viktorianischem Grusel und Mystik gestaltet. Sie hat dabei Wert gelegt auf Atmosphäre und ausführliche Charakterisierung, was mir gut gefallen hat und die Sache recht „rund“ macht.

    Das Buch beginnt wie ein Roman von Dickens, mit einer langen Einleitungsphase, die im rauen London der beginnenden Industrialisierung spielt. Die 14jährige Iris Barling arbeitet in einer Fabrik, wird ausgenutzt, hungert, und ist - eigentlich – jeder Perspektive auf eine glücklichere Zukunft beraubt. Doch sie wäre keine Helding von Maja Ilisch, wenn sie sich keinen Ausweg aus dieser Zwangslage suchen würde. Sie weiß nur wenig von ihrer Mutter – sie war angestellt in einem Herrenhaus, und hat von dort eine seltsame Schachfigur mitgebracht, die sie sorgsam versteckt hält. Mit Hilfe ihres Lehrers, Mr. Whitham, findet Iris den Namen des Herrenhauses heraus. Und eines Tages lässt sie alles hinter sich, um eben dort nach einer besseren Zukunft zu suchen – wenig ahnend, dass damit die Probleme erst anfangen…



    Die eher gemächliche Einleitung hat sich gelohnt, denn nun zahlt sich die gründliche Charakterisierung von Iris aus. Das Buch ist aus ihrer Perspektive in der Ich-Form geschrieben – vielleicht ein klein wenig untypisch für die viktorianische Ära, aber sehr lesbar gemacht. Iris macht im Buch eine ungeheure Entwicklung durch. Sie ist bei weitem nicht so ungebildet, wie es scheint. Sie besitzt eine „Herzensbildung“, die ihr mehr als einmal den Weg weist. Sie entdeckt, was es mit dem seltsamen Herrenhaus Kettlewood Hall auf sich hat. Und sie spielt das Spiel ihres Lebens – ein Schachspiel mit hohem Einsatz…



    Mehr möchte ich über den Inhalt eigentlich nicht sagen, denn der Reiz des Buches besteht gerade im langsamen Aufdecken geheimnisvoller Zusammenhänge. Sehr allmählich schleichen sich unheimliche Elemente in die Handlung ein. Da gibt es Alpträume, schemenhafte Gestalten, Dämonen, höllenhafte Wachhunde, ein verwunschenes Schachspiel, zugige Korridore, und eben alles, was man von viktorianischem Grusel so erwartet. Das Ende war dabei in keinem Falle vorhersehbar, und bietet eine ungewöhnliche Auflösung.



    Eigentlich habe ich nur zwei Kritikpunkte – wenn man es denn überhaupt so sagen will. Erstens spielt das Schachspiel die weitaus größere Rolle im Buch als die namensgebenden Spiegel. Das hat mich ansatzweise überfordert, da ich von Schach nun überhaupt keine Ahnung habe. Aber die Autorin hat den Verlauf immer noch recht verständlich geschildert. Das Wesentliche an der Auflösung ist auch für Schach-Neulinge nachvollziehbar. Zweitens gibt es im Buch eine Liebesgeschichte, die für mich persönlich nicht unbedingt notwendig war. Victor ist der Sohn des Earls von Kettlewood, und ich hätte ihn mir nach den ersten Kapiteln eigentlich sehr anders vorgestellt. Für mich war diese Figur nicht recht schlüssig, und der Liebeshandlung ganz offensichtlich untergeordnet. Aber das mögen andere Leser anders sehen.



    Insgesamt gebe ich dem Buch vier wohlverdiente Sterne von fünfen, für eine gelungene Mischung.

    "Ein Mensch, der Ideale hat/
    Der hüte sich, sie zu erreichen!/
    Sonst wird er eines Tags anstatt/
    Sich selber andern Menschen gleichen."
    (Erich Kästner) :):)