Jack S. Scott - Der Bastard hieß Bristow / A Better Class of Business / The Bastard's Name Was Bristow

  • Der Autor (nach Flubow.ch): Der unter dem Pseudonym Jack S. Scott schreibende Schriftsteller wurde als Jonathan Escott 1922 geboren. Er wuchs in London auf, war ein beliebter Unterhaltungskünstler, Schauspieler, Komiker und Sänger in einer Big Band und schlug erst im Alter von 54 Jahren die schriftstellerische Laufbahn ein. Bekannt ist er vor allem für seine schwarzhumorigen Krimis mit dem englischen Kleinstadtpolizisten Detective Inspector Alf Rosher, von denen ein Großteil auch in deutscher Übersetzung vorliegt. Jack S. Scott starb 1987.


    Inhalt (anhand Flubow.ch): Lenny Bristow ist ein junger, charmanter, charakterschwacher Haustür-Vertreter für Tiefkühltruhen. Mit der unselbstständigen, von ihrem reichen Mann ausgehaltenen Jennifer Pilbeam beginnt er eine Affäre, die von dem zu früh heimkehrenden Ehemann jäh unterbrochen wird. Im Affekt wird Lenny zum Mörder. Die Leiche wandert in die Tiefkühltruhe. Lenny will mit Jennifer gemeinsam nach Südamerika verschwinden. Doch zuerst müssen die beiden möglichst unauffällig soviel Geld wie möglich von den Konten des Ehemanns abziehen. Da Jennifer kurz vor einem hysterischen Nervenzusammenbruch steht und Lenny - unerfahren in kriminellen oder finanziellen Dingen – über die Durchführbarkeit seines Planes völlig im Unklaren ist, müssen die beiden vor allem die Nerven bewahren …


    Dieser reihenungebundene Roman wurde im September 1976 bei Robert Hale & Company in London als „ A Better Class of Business“ veröffentlicht (158 Seiten). Die US-Ausgabe vom April 1977 trägt den Titel „The Bastard's Name Was Bristow“ (anscheinend 172 Seiten). 1981 erschien im Rowohlt Verlag als Band 2570 der Reihe „rororo Thriller“ die deutsche Übersetzung von Jutta Schmidt-Walk unter dem Titel „Der Bastard hieß Bristow“. Diese Taschenbuchausgabe umfasst 142 Seiten. Der schmale Klappentext auf dem Buchumschlag enthält einen Spoiler und darf KEINESFALLS vor der eigenen Lektüre gelesen werden! :wuetend:



    Solche Romane sind wahrlich das Salz in der Krimi-Suppe alter Schule. :rambo: Ein kleiner, unterhaltsamer Spannungsroman aus dem Bahnhofsbuchhandel, der sich harmloser gibt als er ist. Sehr konzentriert auf das Wesentliche. Zwei Normalos werden durch einen kleinen Tritt des Schicksals in eine Mordtat verwickelt. Vor einer Film-Noir-Schablone aus Habgier, Ehebruch, Betrug und Gewalt wird eine desaströse Paarbeziehung in all ihren Abhängigkeiten und Unwägbarkeiten gezeigt, noch dazu auf den blutigen Trümmern einer Ehe, so dass auch James M. Cain seine Freude daran haben würde. Sind die niederträchtigen Umtriebe einmal angestoßen, dreht sich die Spirale des Unglücks unaufhaltsam bis zum bitteren Ende.


    Die Geschichte ist im Grunde denkbar bekannt und simpel, weswegen oberflächliche Leser den Roman langweilig finden mögen. Den Roman schnell wegzuwischen, weil die übersichtliche Geschichte schnell zu lesen ist, übersieht, was dem Autor offensichtlich darüberhinaus wichtig war: Einerseits zu zeigen, durch welche Kleinigkeiten und tatsächlich unplanbare Dinge ein großer Plan scheitern, aber eben auch positiv beeinflusst werden kann. Hätte der Wagen einer kurzfristig eingeführten Nebenfigur nicht Bremsprobleme gehabt, wäre auch der Polizeiwagen nicht in einen Unfall verwickelt worden - und Lenny wäre fast umgehend geschnappt worden. Oder: Kleinganoven streichen um die Garage herum, in der die Leiche liegt, sehen dann aber gerade so von einem Einbruch in das ansonsten leer stehende Haus ab – und Lenny kommt mit dem Schrecken davon. Ein Kofferdiebstahl lässt Lennys Unterlagen und das Scheckbuch des Toten in die Hände der Polizei wandern. Und, fast am schönsten: Ein Hexenschuss, der den Abtransport eines verfänglichen Corpus delicti unmöglich macht. :loool:


    Andererseits zeichnet Scott ein Gesellschaftsbild allseitiger Missgunst. Alle kochen nur ihre eigene Suppe: Sein Arbeitgeber hetzt Lenny, der ihm immer schon missfiel, nach dessen spontaner Kündigung einfach mal mit einem anonymen Anruf die Polizei auf den Hals. Der Bankdirektor, der selber wegen Geldschiebereien in Nöten ist, sucht einen Weg, zu Geld zu kommen, was Lenny ziemlich sicher in die Quere kommen wird. Merke: Der reiche Schurke, der mit mehr Geld hantiert, wird im Vergleich zum kleinen Schurken immer den Sieg davontragen! :pirat:


    Überall scheinen Hausfrauen hinter den Gardinen auf Menschen zu lauern, die in ihrem Viertel nichts zu suchen haben. Denunziation und Eigennutz auf allen Wegen! Kollegialität: Pustekuchen! Diese Ansammlung von Schlechtigkeiten wird auf eine sehr unterschwellige Weise auf etliche Nebenfiguren verteilt: Vermieterinnen und Hausmeister, die bereitwillig Dinge verraten, vielleicht auf Lob oder Belohnung aus, Putzfrauen, die nicht saubermachen, sondern sich bei den Zigaretten bedienen und die Füße hochlegen, Nachbarinnen, Hotelportiers oder Zugschaffner, die einem hinterher schnüffeln. All das wäre nicht so unterhaltsam und dramaturgisch gelungen, würde es nicht vor dem recht breit erzählten Hintergrund der kapitalistischen Arbeitswelt des Haustürverkaufs passieren, einem Haifischbecken, in dem sich jeder selbst der Nächste ist und Betrug, Gelegenheit und Auf- oder Abstieg nahe beieinanderliegen.


    Eine Welt, die nach Sonderangeboten giert, in der aber manche niemals auf einen grünen Zweig kommen werden, weil sie arm geboren wurden und arm bleiben werden. Das englische Proletariat trampelt sich selbst auf die Füße, jede Aufstiegschance ist für die Katz. Ich mag so fiese, kleine, harte Noir-Krimis aus Verbrechersicht, in denen aufstrebende Pläne scheitern, die Wohlanständigkeit der Gesellschaft zerpflückt wird und keiner mehr glaubt, die Polizei könne da noch die sogenannte Ordnung wiederherstellen. Die normale Ordnung ist verdorben genug und nach der Tat ist's immer schlimmer als zuvor. Deswegen bewerte ich den Roman wahrscheinlich höher, als er es "objektiv" verdiente. Aber wie Scott seine Geschichte an den Rändern der Erzählung (die im Grunde ein auf das Nötigste heruntergehungerter Noir-Mythos ist) mit einem besonderen Drall versieht, ist sehr unterhaltsam, nicht grimmig oder trübsinnig, aber fies und hübsch verdüstert. Dabei im Grunde als Gesellschaftsporträt, wenn man es so lesen will, einigermaßen deprimierend: Die Gemeinschaft bietet keinen Schutz und der Einzelne kann auf seiner Suche nach dem Glück so viel strampeln wie er will – die Pfründe sind bereits verteilt. Fatalismus am Bahnhofskiosk. :drunken:

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "Die Bäume" (189/365)


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    :study: Gelesen: 43 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Esch "Supercool" (24.03.)

  • Die englische Originalausgabe wurde in den USA unter dem eigenen Titel "The Bastard's Name Was Bristow" verlegt. Das ist die US-amerikanische Erstausgabe aus dem Jahr 1977 bei Harper & Row.

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  • Die britische Originalausgabe unter dem Titel "A Better Class of Business" (der das Augenmerk etwas stärker als die später umgetitelte US-Ausgabe in eine latent klassenkämpferische Richtung schiebt) erschien mit 158 Seiten Umfang im Jahr 1976 bei Hale in London. Ist allerdings nicht bei "Amazon.de" gelistet. Ich vermerke hier dennoch einmal die entsprechenden ISBN-Nummern: 0709157088 und 9780709157083.

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