Jérôme Ferrari –Und meine Seele ließ ich zurück / Où j’ai laissé mon âme

  • Original : Französisch, 2010


    INHALT :
    Dieser mehrfach preisgekrönte Roman, von der französischen Presse gefeiert als eine der dichtesten und zutiefst berührendsten Neuerscheinungen des Jahres, reflektiert die Zusammenhänge von Erinnerung, Schuld, Mitempfinden, Pflicht, Würde und dem Ehrgefühl des Menschen. In einer trostlosen, von Sand, Blut und Wind gepeitschten Szenerie, in den düsteren Kellern Algeriens, wo sich Folterknechte um nackte Körper versammeln, hat das Schicksal drei Männer an einen Ort zusammengeführt und in einem Schmerz vereint, der für jeden von ihnen ein anderes Gesicht und eine andere Sprache hat. Vor dem Hintergrund des Algeriens von 1957 zieht Ferrari die weissglühende Spur der Literatur jenseits von Gut und Böse hin zur unfassbaren Wahrheit des Menschen, wenn einmal erst die Hölle sich auf Erden eingerichtet hat.
    (Quelle : Klappentext)


    BEMERKUNGEN :
    Die Haupt-Erzählzeit dieses geschickt aufgebauten Romans liegt in im Algerien des Jahres 1957. Doch wieviele Rückblicke, Ausblicke, dann auch verschiedene Perspektiven auf das Geschehen. Beginnend und abschliessend Horace Andreani (noch ein Korse, wie so oft bei Ferrari!), der sich wie in einem Brief, einer inneren Anklage aus Respekt und Abscheu an « seinen Kaptän » (Hauptmann) André Degorce richtet. Von diesem ist eher in den von einem aukorialen Erzähler geschriebenen Teilen die Rede : Er war zweimal « Überlebender », quasi Opfer von Verfolgung, Gefangennahme und Tortur. Einmal landete er als jugendlicher Widerstandskämpfer in Buchenwald und kam völlig abgemagert wieder, wurde von der älteren Kriegerwitwe Jeanne-Marie aufgepäppelt und heiratete diese dann auch. Dann entschied er sich definitiv für eine militärische Laufbahn, landete in Indochina und wurde nach « heldenhaftem » Widerstand – bei dem er auch seinen Andreani kennenlernte und diesem Respekt einflösste – wiederum eingekerkert. War erneut Zielscheibe von « Unmenschlichkeit und Folter »...


    Nun aber, in der 1957iger-Jetztzeit, spielt sich das Eigentliche in Algerien ab. Und Degorce ist Mit-Hauptverantwortlicher für die Festnahmen der einheimischen Aufsäßigen der algerischen Befreiungsarmee (siehe auch : https://fr.wikipedia.org/wiki/…n_nationale_(Alg%C3%A9rie) . Verantwortlicher und… Täter ? Nun selber quasi von der anderen Seite des Tisches her agierend ? Der einst gläubige Degorce, der selber Gefolterte und mehrfach Dekorierte, handelt nun wie einer, den er früher verachtete. Was wächst da heran an innerem Verlust der Selbstachtung, ja an Selbsthaß ? Es wird immer unmöglicher, der geliebten Frau, den Kindern zu schreiben. Wie ein Verräter und Dreckskerl kommt er sich vor. Doch : er macht weiter. Und der ihn ehemals so respektierende Andreani wandelte seine Achtung in Verachtung : denn hinter diese « moralischen » Überheblichkeiten und Widersprüche steigt er nicht. Dann schon besser offenen Auges « in die Hölle fahren » und zu dem stehen, was man tut.


    Erneut, wie nun in diesen Jahren öfter passiert, ein französischer Roman um Algerien und die unrühmliche Rolle der französischen Verteidiger bei Einsatz von fragwürdigen Mitteln. Doch mehr, viel mehr als ein politischer Roman einer von den inneren Kämpfen und Auseinandersetzungen zwischen dem Versuch, aufrecht zu bleiben, zu sein,aber es eben doch nicht zu sein. Man bemerke auch, dass der Autor in Algerien unterrichtet hat und sich sicher der Materie auseinandergesetzt hat. Ihm als Philosophielehrer merkt man manch existenzielle Fragestellung an. Hier stellt er den verschiedenen Abschnitten des Romans jeweils Zitate aus « Der Meister und Margarita » (Pilatusstelle?!), als auch mehrere Bibelzitate vor, nur unter Angabe der Quelle, ohne das Zitat : da muss man schon mal selber nachschlagen :
    1. Nach dem Brudermord an Abel : Sein Blut schreit zu mir !
    2. Beim « Endgericht » wird man gerichtet nach dem, was man dem Geringsten getan hat.
    3. Jesus wußte, was im Menschen war : auch jener tiefe Abgrund an Bösem…


    Der Roman ist dicht, spielt mit verschiedenen Ebenen. Er stellt wichtige und verstörende Fragen. Wie weit würden (auch) wir gehen, selbst als einst « Unbescholtene » oder Gerechte ? Dennoch stellt sich die Frage, ob der Autor die Antwort zu dunkel und negativ ansetzt, und wir nicht auch, positiv betrachtet, nach dem Aufgerichtet werden, was wir dem Geringsten Gutes getan haben, oder Jesus (dritter Vers), nicht eben auch all das Gute in uns untercheidet, und nicht einfach nur die Negativbrille aufsetzt.


    Ein starkes Stück.


    AUTOR :
    Jérôme Ferrari (* 1968 in Paris) ist ein französischer Schriftsteller, Übersetzer und Philosophielehrer. Ferraris Eltern stammen aus Korsika. Er wuchs in Vitry-sur-Seine auf und studierte in Paris Philosophie. Nach dem Abschluss zog er als Lehrer nach Korsika. Nachdem er sieben Jahre am Lycée in Porto-Vecchio Philosophieunterricht gegeben hatte, ging er 2007 für vier Jahre an das Lycée internationale Alexandre Dumas nach Algier. Seit 2012 lehrt er Philosophie am französischen Gymnasium in Abu Dhabi.


    Der Durchbruch als Schriftsteller gelang ihm mit diesem seinen Roman « Le sermon sur la chute de Rome » (zu Deutsch: Die Predigt auf den Niedergang Roms), der 2012 mit dem bekanntesten französischen Literaturpreis, dem Prix Goncourt, ausgezeichnet wurde und international für Aufsehen in den Feuilletons sorgte.



    Gebundene Ausgabe: 153 Seiten
    Verlag: Secession Verlag für Literatur; Auflage: 2. (15. Dezember 2014)
    Sprache: Deutsch
    ISBN-10: 390595110X
    ISBN-13: 978-3905951103

  • Hier noch eine Verlinkung zu einer Ausgabe in der Originalsprache Französisch:


    1957. A Alger, le capitaine André Degorce retrouve le lieutenant Horace Andreani, avec lequel il a affronté l'horreur des combats puis de la captivité en Indochine. Naguère victimes, ils sont désormais chargés de soumettre à la question les prisonniers d'une guerre qui ne dit pas son nom. Si Andreani assume pleinement ce nouveau statut de bourreau, Degorce, dépossédé de lui-même, ne trouve l'apaisement qu'auprès de Tahar, commandant de l'ALN retenu dans une cellule qui prend des allures de confessionnal où le geôlier se livre à son détenu... Sur une scène désolée, fouettée par le vent, le sable et le sang, trois personnages réunis par les injonctions de l'Histoire témoignent de l'impossible vérité de l'homme dès lors que l'enfer s'invite sur terre.