Haruki Murakami - Eine Idee erscheint / Arawareru idea

  • Nun, so allmählich wiederholt sich auch der gute Haruki Murakami in seinen Werken - die tendenzielle Grundidee seiner mittlerweile doch zahlreichen Werke, nämlich vordergründig bittersüße Absurditäten die in der Regel ein mit der Einsamkeit in der Gesellschaft des mordernen Japans fremdelnder, männlicher Eigenbrötler erlebt, zieht sich doch ein wenig wie ein roter Faden durch die Bibliographie meines Lieblingsautors. Im neuesten Werk, dem ersten Band des Zweiteilers mit dem Namen 'Die Ermordung des Commendatore', ist mir das erstmals so richtig bewusst geworden, denn die Parallelen zu anderen Werken (Mr Aufziehvogel, die beiden Schafsmann-Romane u.w.) sind hier doch sehr offenkundig.
    Ähnlich wie in anderen Geschichten Murakamis, wird der männliche Protagonist durch die unfreiwillige Beendigung einer Liebesbeziehung ordentlich aus der Bahn geworfen. In diesem Fall zieht sich der namenlose Hauptcharakter, hauptberuflich Portraitmaler, in die Abgeschiedenheit eines Anwesens im Gebirge zurück, wo er sich mehr oder minder treiben lässt, bis er den Auftrag erhält, den in der neuen Nachbarschaft residierenden, ebenso mysteriösen wie in Geld schwimmenden Menshiki zu portraitieren.
    Gleichzeitig spielt sich auch in und um das Haus, in welches sich der Hauptcharakter zurückgezogen hat, und welches früher von dem berühmten Maler Tomohiko Amada bewohnt wurde, höchst gespenstisch-mysteriöses ab...
    Murakamis neuestes Werk steht insbesondere Hinsichtlich des Gruselfaktors anderen Werken wie 'Tanz mit dem Schafsmann' (erwähnt sei hier nur die schaurige Szenerie im Hotel Delfin und den dortigen Aufzügen...) in nichts nach. Darüber hinaus verfliegen die knapp 470 Seiten sehr schnell - trotz der für Murakami nicht unüblichen, eher langsamen Erzählweise.
    Das Lesevergnügen war auch in diesem Fall sehr groß und in jedem Maße fesselnd - der vorliegende Murakami ist in vielerlei Beziehung typisch für den Autor und man bekommt, was man erwarten kann - nicht mehr aber auch nicht weniger - wenngleich das Werk aufgrund der zahlreichen Anleihen aus anderen Büchern des Autors eine besondere Eigenständigkeit für meinen Geschmack vermissen lässt. Möglicherweise kommt das aber noch im zweiten Teil, welcher im April diesen Jahres erscheint - ich freue mich schon sehr darauf.

    "Wenn ich einer Untergrundkultgemeinschaft beitrete, erwarte ich Unterstützung von meiner Familie!" (Homer Simpson)


    :montag:

  • Ich möchte doch darum bitten, den Buchtitel hier nicht zu kürzen. Das Buch heißt 'Die Ermordung des Commendatore' und nicht lediglich 'Eine Idee tritt auf'.

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    :montag:

  • Nicht ganz. "Die Ermordung des Commendatore" ist der Reihentitel - immerhin gibt es ja auch einen zweiten Band, der im April heraus kommt (s.u.). Und wie wir immer wieder erwähnen, gehören Reihentitel hier bei uns nicht in die Titelzeile. 8)

  • Dann wünsche ich dem nächsten BT-User viel Spaß, wenn er oder sie demnächst in der Buchhandlung nach Haruki Murakami's neuem Buch 'Eine Idee tritt auf' sucht. :montag:
    Ein Buch, welches aufgrund des Umfangs in zwei Teilen separat veröffentlicht wird, ist für mich auch keine ''Reihe'' im klassischen Sinne, wie du es beschreibst - oder wie wäre das dann bspw. bei Murakamis Werk 1Q84, von welchem die ersten beiden Teile gemeinsam, und der abschließende dritte Teil als Einzelband veröffentlicht wurden. Diesen müsste ich nach dieser Logik hier also unter dem Namen 'Buch 3' rezensieren, da der Reihentitel 1Q84 ist? Und die Titelzeile wäre bspw. in diesem Thread hier demnach auch falsch?


    (Diese Anfrage könnt ihr gerne löschen, hat sie mit der Rezension ja nicht direkt zu tun - eine entsprechende Rückmeldung wäre dennoch hilfreich.)

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    :montag:

  • Ich muss oder darf hier @Eol zustimmen. Da ich im Moment gerade den Literaturclub in SRF anhöre und dieses Buch besprochen wird. Es heisst klar und deutlich "Die Ermordung des Commendatore" - Untertitel "Eine Idee tritt auf"
    Es wäre schade nun willkürlich die Titelzeile der Rezension (übrigens eine Rezension welche sehr gefällt) zu ändern, denn das wäre eine Verfälschung, und die nächsten Leser finden das Buch nicht.


    Zudem ist ja schon bekannt wie der zweite Band heisst. Da ist nichts mehr mit "Eine Idee tritt auf"
    sondern
    "Die Ermordung des Commendatore Band 2: Eine Metapher wandelt sich"

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • Zunächst einmal wird der Gesamttitel zusammen mit dem Titelbild ja dank der Verlinkung mit der Amazon-Datenbank unterhalb der Titelzeile vollständig angezeigt, weswegen es unwahrscheinlich erscheint, dass Beitragsleserinnen und - leser dies nicht mitbekommen und man ihnen in der Buchhandlung nicht weiterhelfen kann. Außerdem dürfte bei einem so profilierten Autoren wie Murakami jeder im Buchhandel wissen, was "der neue Murakami" ist, wenn man danach fragt. :D


    Die Frage, was als Reihe definiert wird ist immer ein wenig problematisch, da Verlage und Autoren da je nach Veröffentlichungssituation sehr unterschiedlich vorgehen. Bei 1Q84 - genau wie bei anderem mehrbändigen Titel, wo es als einziges Unterscheidungsmerkmal eine laufende Nummer gibt, lassen wir natürlich den Reihentitel vor der Nummer stehen, weil wir sonst ziemlich viele Buchreihen hätten, die alle nur 1 - n in der Titelzeile stehen hätten. Hier, wo jeder Band einen eigenen Namen hat, wie ich ja bereits in meinem ersten Beitrag hier erwähnt hatte, ist der "Reihentitel" allerdings nicht in gleichem Maße zu Identifikation notwendig. "Band1" und "Band 2" mit jeweils eigenem klar unterschiedbaren Titel sind da doch wesentlich klarer als zwei Titel einer - wenn auch kleinen - Reihe zu identifizieren.

  • Habe gerade noch den Originaltitel dieses Einzelbandes (das Buch erscheint wohl auch in Japan als Doppelband) oben eingesetzt. Der Titel des zweiten Bands im Original ist übrigens: Utsurou metaphor 遷ろうメタファー

  • Haruki Murakami zählt für mich zu den am schwersten zu rezensierenden Autoren überhaupt. Eben weil seine Bücher oft an der Grenze zwischen Realität und Fiktion, Handlung und surrealem Gedankenspiel angesiedelt sind. Und weil sich ihre Bedeutung in den allerseltensten Fällen in einer Nacherzählung dessen erschöpft, was in dem Buch geschieht. Dennoch will ich es in diesem Fall einmal versuchen.


    Man muss sicherlich wissen, dass dieses neueste Epos aus dem Hause Murakami auf zwei Bände angelegt ist – der zweite erscheint im April 2018. Es ist also nur natürlich, dass dieser Band mit vielen offenen Fragen und losen Handlungsfäden endet.


    Vieles ist typisch für Murakami – wir haben einen namenlosen, von seiner Frau verlassenen Helden, der zur Einsamkeit und Nachdenklichkeit neigt. Wir haben in seiner unmittelbaren Umgebung etliche rätselhafte Figuren und Geschehnisse. Wir haben Menschen, die verschwinden, Menschen, die ein Geheimnis aus sich machen. Wir haben flüchtige Liebschaften. Und wir haben die Kunst und das Leben, sowie eine Prise Übernatürliches.


    Ungewöhnlich an diesem Band finde ich eines der Hauptthemen – eben die Malerei, und die Kunst. Murakami wendet sich hier einem für ihn neuen Bereich zu. Er lässt sehr lebendig werden, wie der Schaffensprozess eines Künstlers, zudem eines Malers, verläuft. Wir folgen vielen Gedankengängen über Authentizität, Ausdruck und Schaffensdrang.


    Den Klappentext kann man, wie öfters bei Murakami, getrost vergessen. Sicher, es geht um diesen einsamen Maler, der einen rätselhaften Auftrag annimmt. Aber zugleich geht es überhaupt nicht darum. Es geht darum, dass sich nach dem Auffinden eines geheimnisvollen Bildes auf dem Dachboden die seltsamen Geschehnisse häufen. Der Maler beginnt zu ahnen, dass mysteriöse Kräfte am Werk sind, die etwas von ihm erwarten. Nur was? Das wird sich sicher erst im zweiten Band auflösen lassen. Möglich scheint eine Verwicklung mit dem Bereich der Politik, da das Buch mit dem Zitat eines Malers im KZ endet. Aber hier wäre ich vorsichtig.


    Ich habe das Buch in tiefsten Zügen genossen. Die Sprache ist wieder einmal einfach, klar und lebendig. Noch die beiläufigsten Episoden werden mit einer schwülen Atmosphäre aufgeladen, dass man als Leser ganz „wuschig“ wird. Man stellt sich, zusammen mit dem Helden, unzählige Fragen. Sinnfragen, Fragen über die Liebe, das Jenseits, die Kunst. Und natürlich Fragen über die Geschichte des mysteriösen Bildes vom Dachboden…


    Mehr mag ich gar nicht erzählen über dieses Buch. Es ist für mich in sich selbst ein sprachliches Kunstwerk sondergleichen. Und ich frage mich – wenn Murakami jetzt nicht bald den Nobelpreis für Literatur gewinnt, dann bin ich ehrlich gesagt ratlos.

    "Ein Mensch, der Ideale hat/
    Der hüte sich, sie zu erreichen!/
    Sonst wird er eines Tags anstatt/
    Sich selber andern Menschen gleichen."
    (Erich Kästner) :):)

  • Ih habe jetzt knapp die Hälfte gelesen und komme aus dem Kopfschütteln und Augenrollen gar nicht mehr heraus. Was soll das denn??? ?(
    Eine Geschichte, die sich zieht wie Kaugummi, an den Haaren herbeigezogene Spannung, flache Charaktere, dümmliche Dialoge und eine nichtssagende Sprache machen es mir wirklich schwer, dem Buch irgendetwas Positives abzugewinnen. Ich habe den Hype um Murakami noch nie verstanden und wollte ihm mit diesem Buch noch eine letzte Chance geben, aber so wie es aussieht, wird das nichts mit uns. Die Geschmäcker sind verschieden, ich weiß, und ich weiß auch, dass ich nicht jeden Hype verstehen muss, aber Murakami allen Ernstes mit dem Nobelpreis für Literatur in Verbindung zu bringen, halte ich für einen schlechten Scherz. :roll:


    Das bisher einzig Gute an dem Buch: Es liest sich flüssig runter und ist bestens geeignet als Lektüre für unterwegs oder um Wartezeiten zu überbrücken. Deshalb werde ich es auch zu Ende lesen und mich abschließend noch mal melden.

    :montag: Judith Hermann - Daheim


    "Sehnsucht nach Liebe ist die einzige schwere Krankheit, mit der man alt werden kann, sogar gemeinsam."
    (Bodo Kirchhoff: Die Liebe in groben Zügen)


  • Nobelpreis für Literatur war aber Ishiguro

    Ich glaube, @Siebenstein bezieht sich auf den Post über ihrem, wo der Nobelpreis für Murakami gefordert wird. :wink:


    Das Buch habe ich eben in meiner Bücherei entdeckt und vorbestellt. Dann kann ich hier auch mitreden. Es gibt Bücher von ihm, die ich großartig fand wie "Kafka am Strand", "Hard-boiled Wonderland" habe ich abgebrochen.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Ich glaube, @Siebenstein bezieht sich auf den Post über ihrem, wo der Nobelpreis für Murakami gefordert wird. :wink:
    .

    Danke, @Marie, so war es gemeint. Man hört und liest ja immer mal wieder, dass Murakami den Nobelpreis für Literatur verdient hätte. Ich bin dann jedesmal fassungslos und frage mich, wie man darauf kommen kann. :scratch:

    :montag: Judith Hermann - Daheim


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  • Eine Geschichte, die sich zieht wie Kaugummi, an den Haaren herbeigezogene Spannung, flache Charaktere, dümmliche Dialoge und eine nichtssagende Sprache machen es mir wirklich schwer,

    Da muss ich dir recht geben, Siebenstein. Die Geschichte langweilt ein wenig, Wiederholungen und Plattitüden machen es nicht besser.
    Andere Romane des Autoren habe ich lieber gelesen.

  • Ja, zum Glück sind die Geschmäcker verschieden...
    Ich gönne jedem von Herzen seine Meinung.


    Scheinbar bin ich nunmal so veranlagt, dass mir Murakamis "Schreibe" etwas sagt... :uups::uups:

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  • Murakami ist einer von denen, die die Leserschaft enorm spalten - die einen lieben ihn, die anderen können gar nichts mit ihm anfangen (ich gehöre auch eher zur zweiten Fraktion ...)

  • Verlagstext

    Allein reist der namenlose Erzähler und Maler ziellos durch Japan. Schließlich zieht er sich in ein abgelegenes Haus, das einem berühmten Künstler gehört, zurück. Eines Tages erhält er ein äußerst lukratives Angebot. Er soll das Porträt eines reichen Mannes anfertigen. Nach einigem Zögern nimmt er an, und Wataru Menshiki sitzt ihm fortan Modell. Doch der Ich-Erzähler findet nicht zu seiner alten Fertigkeit zurück. Das, was Menshiki ausmacht, kann er nicht erfassen. Wer ist dieser Mann, dessen Bildnis er keine Tiefe verleihen kann?

    Durch einen Zufall entdeckt der junge Maler auf dem Dachboden ein meisterhaftes Gemälde. Es trägt den Titel ›Die Ermordung des Commendatore‹. Er ist wie besessen von dem Bild, mit dessen Auffinden zunehmend merkwürdige Dinge um ihn herum geschehen, so als würde sich eine andere Welt öffnen. Mit wem könnte er darüber reden? Da ist keiner außer Menshiki, den er kennt. Soll er sich ihm wirklich anvertrauen? Als er es tut, erkennt der Ich-Erzähler, dass Menshiki einen ungeahnten Einfluss auf sein Leben hat.


    Der Autor

    Haruki Murakami, 1949 in Kyoto geboren, lebte über längere Zeit in den USA und in Europa und ist der gefeierte und mit höchsten Literaturpreisen ausgezeichnete Autor zahlreicher Romane und Erzählungen.


    Inhalt

    Als der namenlose junge Maler von seiner Frau verlassen wird, nutzt er die Gelegenheit, um an einem neuen Ort neu zu beginnen. Zuvor hatte er seinen Lebensunterhalt relativ bequem mit Porträts verdient für Kunden, die ihm ein Vermittler verschaffte. Er erwartete von seinen Modellen nur ein Vorgespräch und ein paar treffende Fotos, sie brauchten ihm nicht Modell zu sitzen und waren stets mit dieser Regelung zufrieden. Die Stärken des Künstlers sind sein gutes visuelles Gedächtnis und seine Fähigkeit, die Persönlichkeit seiner Modelle intuitiv zu erfassen. Nachdem er jahrelang gefällig gemalt hat, um seine Auftraggeber zufrieden zu stellen, könnte er nun endlich malen, was er selbst für wesentlich hält. Weil das Elternhaus eines Kommilitonen und Künstlerkollegen leer steht (der Vater von Masahiko Amada lebt dement in einem Heim) findet Murakamis namenloser Icherzähler dort als Haussitter eine günstige Unterkunft. Er kann sogar das ehemalige Atelier des alten Herrn Amada nutzen und erhält von Masahiko den Tipp, im Ort Malkurse zu geben. Das für japanische Verhältnisse luxuriöse Haus zieht er sich an wie einen Handschuh, schlüpft damit quasi ins Leben des älteren Berufskollegen. Wenn der Maler von seiner Ex-Frau erzählt und auch von seiner früh als Kind verstorbenen Schwester, stellt er in bildhafter Weise Perspektiven und Bezüge dar, die sich deutlich von der Sichtweise anderer Menschen unterscheiden. Die überraschende Trennung von seiner Frau erklärt er sich damit, dass er die Entwicklung ihrer Beziehung und darin einen toten Winkel übersehen hat. Auf dem Dachboden des abgelegen in den Bergen gelegenen Hauses entdeckt er ein - einziges - sorgfältig verpacktes Gemälde des Hausherrn, die Duellszene „Die Ermordung des Commendatore“, das prompt seine intensive Auseinandersetzung mit der Biografie des Älteren anregt. Amada Senior hatte vor 1939 in Europa gelebt und der Grund für seine Rückkehr liegt bisher noch im Dunklen. Wer sich an „Mister Aufziehvogel“ erinnert und dessen Bezug zur japanischen Besetzung der Mandschurei, wird in diesem Buch vermutlich auf einen Bezug zu historischen Ereignissen während des Nationalsozialismus warten.


    In der Gegenwart taucht beim Porträtmaler Herr Wataru Menshiki auf, der ein Porträt in Auftrag gibt und das frei vom wirtschaftlichen Zwang für den Künstler, dem Kunden gefällig sein zu müssen. Der Mann erzählt viel und scheint wenig von sich preiszugeben. Ähnlich wie die Trennung von Yuzu, der Maler-Ehefrau, wirkt die Begegnung mit Menshiki als Katalysator für einen Neubeginn im Leben des Icherzählers. Der geheimnisvolle Nachbar verkörpert jedoch auch die größte Angst des Malers, das Wesen seines Modells nicht zu erfassen und zum beruflichen Scheitern verurteilt zu sein. Menshiki heisst im Japanischen wörtlich Bekannter, die Schriftzeichen für sich genommen bedeuten „Farbe vermeiden“. Die Möglichkeit im Chinesischen und Japanischen die Bildbedeutung der Schriftzeichen quasi auf einer zusätzlichen Tonspur für Anspielungen zu nutzen, ist europäischen Lesern schwer zu vermitteln. Am ehesten ließe sie sich mit dem Cockney-Englisch vergleichen, das beim Zuhörer voraussetzt, Doppeldeutigkeiten bereits zu kennen oder blitzschnell zu erfassen. Wenn einem Maler ein Herr „Farbe-Vermeiden“ als Gegenspieler entgegentritt im Haus eines prominenten Malers mit uns unbekannter Vergangenheit, setzt das bei mir eine Kette von Assoziationen in Gang. Was wäre, wenn dem Maler die Farbe fortgenommen würde? Was verbindet die beiden Männer, was fehlt in ihrem Leben? Frauen sind im Leben der Herren früh verstorben, treten als Schülerin oder Geliebte auf oder sie sind wie die jüngere Schwester für die Verbindung in die Welt der Magie zuständig. Warum bleibt der Name des Malers ungenannt, der als Icherzähler doch so freimütig von sich erzählt? Warum drängt sich der Nachbar rücksichtslos ins Leben des Porträtmalers? Ist der Haussitter die Achillesferse, um sich ein zweifellos wertvolles Grundstück unter den Nagel reißen? Schließlich taucht auf dem Sofa des Malerhaushalts in Kindergröße der „Commandatore“ aus dem Gemälde auf. Eine „Idee“ ist aus einer Parallelwelt getreten und könnte den Souffleur geben. Ob nicht sichtbare Dinge auf diese Weise real werden können, ist zumindest eine amüsante Frage. Als vertraute Murakami-Motive grüßen neben einem Protagonisten auf Ichsuche die Rückblende in die Geschichte, das Kochen, Jazz, unterirdische Räume und diffuse Verfolgungsgefühle.


    Fazit

    Da Murakamis Romane längst ein eigenes Genre bilden, erübrigt es sich m. A. „Die Ermordung des Commendatore“ als Künstlerroman zu bezeichnen. Die Verbindung zwischen dem opaken Buchumschlag (der nur Ausschnitte des Buchdeckels freigibt) mit dem blinden Fleck des Malers für den Zustand seiner Ehe, mit Farblosigkeit, der spirituellen Bedeutung von Bergen und Wald in Japan und schließlich dem Tod im Leben der beiden Hauptfiguren ist jedenfalls faszinierend genug, um ungeduldig auf den zweiten Band zu warten.


    Das Handwerkliche

    „Die Ermordung des Commendatore“ besteht aus einem Bucheinband frei von Text, einem opaken Schutzumschlag, der wie durch ein Bullauge den Blick auf den regenbogenfarbigen Buchdeckel freigibt, einem dunkel gefärbten Schnitt und einem Lesebändchen in edlem Dunkelrot. Neben dem Aufwand fürs Äußere finde ich den wahren Luxus im Inneren des Buches: ein harmonisch wirkender Satzspiegel, lesefreundlicher Kontrast von Papierfarbton und Schrift und eine Bindung, die das Buch aufgeschlagen liegen bleiben lässt, ohne dass die Seiten tun was sie wollen …


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    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Weber - Bannmeilen (Paris)

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    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Das Original

    Hardcover, 512 pages

    Published February 24th 2017 by 新潮社

    Original Title: 騎士団長殺し―第1部 顕れるイデア編 [Kishidancho Goroshi 1]
    ISBN 410353432X (ISBN13: 9784103534327)
    Edition Language: Japanese
    URL http://www.shinchosha.co.jp/book/353432
    Series Kishidancho Goroshi #1

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Weber - Bannmeilen (Paris)

    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


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