James Sallis - Deine Augen hat der Tod / Death will have your eyes

  • Autor: James Sallis
    Titel: Deine Augen hat der Tod, aus dem Englischen übersetzt von Bernd W. Holzrichter
    Originaltitel: Death will have your eyes, erschien erstmals 1997
    Seiten: 208 Seiten in 43 Kapitel
    Verlag: Heyne
    ISBN: 9783453434417


    Der Autor: (Klappentext)
    James Sallis wurde 1944 in Arkansas geboren und verbrachte dort seine Kindheit. Er studierte Literaturwissenschaft in New Orleans und arbeitete anschließend als Lektor und Drehbuchautor. Er übersetzte Raymond Queneau und Puschkin ins Englische und veröffentlichte eine Biografie von Chester Himes. Bekannt wurde er mit seiner Romanreihe um den schwarzen Privatdetektiv Lew Griffin. Seine Kriminalromane wurden mehrfach für Literaturpreise nominiert, u.a. für den Edgar, den Shamus und den Gold Dagger Award. 2008 wurde James Sallis mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. Er lebt in Phoenix, Arizona.


    Inhalt: (Klappentext)
    In seinem früheren Leben war David Agent einer Eliteeinheit, ein Killer im Auftrag des Staates. Nach dem Ende des Kalten Krieges hat er sich eine normale Existenz aufgebaut. Doch als eines Nachts das Telefon klingelt, weiß er, dass man seiner eigenen Vergangenheit nicht entfliehen kann, egal wie sehr man es auch versucht. Angeblich zieht ein ehemaliger Kamerad eine Blutspur durch Amerika, und nur David kann ihn zur Strecke bringen. Innerhalb von Stunden muss er alles hinter sich lassen, sein Zuhause, seine Frau, seine Zukunft. Der gnadenlose Kampf mit einem Schatten beginnt und eine düstere Odyssee durch die Halbwelt Amerikas, wo Jäger zu Gejagten werden und der Feind zum eigenen Spiegelbild.


    Meinung:
    Von James Sallis kannte ich bereits seine beiden Bücher um «den Driver», und die Erzählweise ist hier exakt die gleiche: Kurze Kapitel, in denen es rasch zur Sache geht und es keine Zeit für Erklärungen geben kann. Von jetzt auf gleich muss David seine Existenz verlassen. Weshalb? Wurde mir bis zum Ende der Lektüre nicht klar. Wird er von jemandem bedroht oder soll er jemanden zur Strecke bringen? So ganz sicher könnte ich die Frage auch jetzt nicht beantworten. Als Leser wird man durch den Plot gehetzt, einige wenige Male kommt man zur Ruhe, erfährt in knappen Rückblicken ein paar persönliche Momente, aber dann gibt es wieder eine Schlägerei oder eine Verfolgungsjagd. Stets gibt es irgendwo Hintermänner, die einen beschatten oder Nachrichten zukommen lassen. Durch halb Amerika wird man durch Spelunken und Motels geführt, auf der Suche nach was auch immer. Und David ist so eine Art Superheld: Die stämmigsten Idioten werden kunstvoll weggeprügelt, er ist ein grösserer Frauenheld als James Bond und sein sechster Sinn ist ausgeprägt, da fallen ihm Sachen und Zusammenhänge auf – vermutlich Röntgenblick.
    Inhaltlich gibt die Geschichte somit nicht viel her, es ist mehr Roadtrip als Agententhriller.
    Eigentlich klingt das nach einem schlechten Groschenroman ohne vernünftigen Aufbau und Handlung. Und trotzdem las ich die Geschichte ganz gerne. Klar, viel Mitdenken sollte man dabei nicht, sondern sich einfach vom Tempo berauschen lassen. Die kurzen Kapitel, die knappen Sätze, die komplett fehlenden Erläuterungen bauen die Atmosphäre des «gejagt werdens» prima auf. Ab und zu gibt es pseudo-existenzielle Fragen á la «Was bedeutet Freundschaft» und "Kann man seinen Erinnerungen vertrauen?», aber solche Themen werden minimalistisch abgehandelt. Für zwischendurch recht unterhaltsam, gut geschrieben ist es auch, aber ernst nehmen sollte man es nicht.

  • Schön, dass dank Deiner Rezension, @Nungesser, auch mal wieder etwas sperrige Krimikost im BT stattfindet und nicht nur die Baukastenware. Ich habe mit Sallis allerdings auch so meine Probleme. :wink: Dieser superknappe Erzählstil stellt mir so wenige Andockpunkte zur Verfügung, dass die Romane immer ein wenig an mir vorbeirauschen (ich kenne zwei Bände der Lew-Griffin-Serie und den ersten Driver-Roman). Manchmal weiß man wirklich nicht, worum es geht. Dinge, die "unwichtig" sind, der erzählerische Kitt, der zwischen den Handlungsschritten passiert, wird einfach nicht erzählt. Sehr elliptisch und fast ohne Emotion. Der Stil ist also bemerkenswert und aus Genresicht eine interessante Zuspitzung, fast wie ein Hinweis an Leser, Autoren und Verleger, sich auch mal kurz zu fassen, aber so wirklich ins Herz (und auch den Verstand) treffen die Romane bei mir bisher nicht. "Driver" gefiel mir noch am besten - und es macht ja auch Spaß, den Roman mit der Verfilmung zu vergleichen. Insofern vielen Dank für Deine Rezension. :applause: Allerdings wurmt mich immer noch der folgende Satz, der entweder zwei Dinge unschön vermischt oder sogar latent falsch ist:

    Eigentlich klingt das nach einem schlechten Groschenroman ohne vernünftigen Aufbau und Handlung

    Generell missfällt mir die Gleichsetzung von Schundliteratur und Groschenroman, der ja im Grunde zunächst erst einmal die Art der Verbreitung meint: Für wenig Geld außerhalb des Buchhandels in Serie unters Volk gebracht. Sogenannte Pulp-Autoren sind ja keine Verfasser von Schund, der keinen vernünftigen Aufbau und ebensolche Handlung aufweist. Stattdessen ist der Aufbau ja besonders konzentriert, quasi gerade "vernünfig" und ohne unnötige Abschweifungen und Ballast. Wer wissen will, wie man schnell und effektiv eine Geschichte erzählt, muss sich nur Kasperletheater oder Pulp-Literatur vornehmen. Und zu den Urvätern des modernen Kriminalromans, die ursprünglich überwiegend nicht als Hardcover, sondern in Zeitungs-Fortsetzungen, in Krimimagazinen oder Groschenheften erschienen sind, zählen ja so illustre Namen wie Raymond Chandler, Dashiell Hammett oder Cornell Woolrich, die über jeden Schund-Zweifel erhaben sind (Von Leuten wie Zola will ich gar nicht erst reden, deren "Romane" oft auch in Fortsetzungen erschienen sind.)


    Was es in Groschenromanen dagegen tatsächlich oft nicht gibt, ist eine klassisch durchgeführte Persönlichkeitsentwicklung. Die Charaktere sind eher Typen als tiefgründig angelegt. Ich vermute, dass Sallis in diesem Roman die Charaktere auch eher als große Fragezeichen stehen lässt. Sodass eher hier, wenn man so will, ein Bezug zu Groschenheft-Charakteren gezogen werden könnte.


    Was man sonst so mit "Groschenheft" assoziiert - leichte Eingängigkeit, schmissige Action und melodramatische Konflikte - sucht man bei Sallis meiner Erfahrung nach allerdings vergebens. Wer gerne "in Geschichten eintaucht" und "mit Figuren mitfiebert", wird von Sallis definitiv enttäuscht werden.

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "Die Bäume" (214/365)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 43 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Esch "Supercool" (24.03.)

  • Sogenannte Pulp-Autoren sind ja keine Verfasser von Schund, der keinen vernünftigen Aufbau und ebensolche Handlung aufweist

    Da hast Du natürlich recht, vielen Dank für die Klarstellung! Ich hatte natürlich nicht die Absicht gehabt, Freunde der Pulp-Literatur vor den Kopf zu stossen! Und natürlich gibt es hier gute und schlechte Romane. Wenn ich von einem schlechten Groschenroman spreche, dann gelingt es eben dem zumeist unter Verlagspseudonym schreibenden Autoren nicht, auf gut 64 Seiten eine konzentrierte Geschichte abzuliefern. Wohl dem, der es kann, denn - da gebe ich Dir recht - bei Kurzgeschichten oder knapper Seitenzahl eine gute Geschichte zu schreiben, ist große Kunst.
    Und Sallis gelingt es prima, alles Unnütze wegzulassen und die Geschichte anhand kurzer Kapitel / Bilder zu erzählen. Alles Verbindende muss der Leser sich selbst zusammenreimen. Bei schlechten Groschenromanen gelingt das eben nicht. (Und ich sage "Groschenromane" wegen deren Kürze. Bei seitenstärkeren (schlechten) Romanen passiert es eher, dass dann zuviel geschwafelt wird und dadurch der rote Faden verloren geht)
    Und ja, die Charaktere in diesem Roman sind eher Typen, man lernt niemanden näher kennen, eine Entwicklung gibt es kaum, mitfiebern kann man nicht. Dafür aber schmissige Action, die verbinde ich übrigens ebenfalls mit Groschenheften (meine Erfahrung mit John Sinclair und Jerry Cotton ist aber auch schon lange her).


    Ich habe zudem noch dieses Interview mit James Sallis gefunden: Süddeutsche vom 26. Juni 2012
    James Sallis ist ein Fan von Chester Himes und Jim Thompson, die eine gelungene Mischung aus Schund und Kunst schreiben würden. Er liebt das Muskelspiel der Pulp-Stories und beschloss den billigen Glanz der Groschenromane mit einem ambitionierten Stil zu verbinden. Und das ist natürlich treffender formuliert. Und kein Wunder kam mir bei Lesen des Romans der Begriff "Groschenroman" in den Sinn.

  • Ein ganz schönes Interview. Der Herr wirkt sympathisch. Ich kann mir das gut vorstellen: Irgendwann ödet einen als Genreautor der immer gleiche Aufbau an. Und dann fängt man an zu improvisieren. :loool:


    Habe gerade gesehen, dass ich den Roman hier doch schon gelesen habe. Die Ausgaben sind nicht verknüpft. Ich habe mich nur für drei Sterne erwärmen können. Meine Erinnerung an das Buch ist völlig weg. Aber das hat es mit vielen Heftromanen gemeinsam. Da rauscht die Handlung auch so durch. :wink:


    Wie auch immer: Dein Interview-Link ist mir Hinweis genug, mal wieder Jim Thompson zu lesen und endlich mal ernsthaft mit Chester Himes anzufangen (ich kenne nur dessen letzten als Fragment überlieferten Roman). Und David Goodis (u.a. "Schießen Sie auf den Pianisten"), den Sallis ja auch so schätzt, ist ja wirklich ein toller Autor. Jedem ans Herz gelegt, der auch schon mit der ganz US-Crime-Schule à la Hammett was anfangen kann. Da ist zwar auch ein großer Stilwillen zu spüren beim Hantieren mit Figuren, die auch billige Groschenhefte bevölkern könnten, wenn sie auch vielfach gebrochen und schön vor einen sozialen oder psychologischen Hintergrund geschoben sind, aber mit mehr erzählerischem "Fleisch". Nicht nur Knochen wie bei Sallis.

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "Die Bäume" (214/365)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

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