Margery Sharp - Die Abenteuer der Cluny Brown / Das Mädchen Cluny Brown / Cluny Brown

  • 30er Jahre des letzten Jahrhunderts, England. Die 22-jährige Cluny Brown ist eine junge Frau, die mit ihrem alten Onkel, dem Klempner Arn Porritt, zusammenlebt, seit ihre Eltern gestorben sind. Ihr Onkel macht sich Sorgen wegen Cluny, da sie recht unkonventionell ist, von einem Fettnäpfchen ins nächste gerät und Dinge tut, die eine normale junge Frau in ihrem Alter nicht wagen würde. Sie geht allein ins Ritz, um dort einen Nachmittagstee einzunehmen, anderntags bleibt sie den ganzen Tag im Bett und isst Orangen, weil es dem Befinden förderlich sein soll. Um diesem Betragen Abhilfe zu leisten, schickt Onkel Arn Cluny durch eine Stellenvermittlung als Stubenmädchen aufs Land, wo sie für eine adlige Familie arbeiten soll. Kaum auf dem hochherrschaftlichen Landsitz Friars Carmel im tiefsten Devon angekommen, muss sich Cluny erst einmal an die örtlichen Gegebenheiten gewöhnen. Sie freundet sich mit dem Hund des Gutsvorstehers an und lernt auch den örtlichen Apotheker näher kennen, der ihr schon bald den Hof macht. Doch ihr unkonventionelles Denken ändert sich dadurch nicht, vielmehr überrascht sie die Bewohner des Adelsitzes sowie deren Gäste durch ihre ungewöhnlichen Einfälle und ihr seltsames Verhalten. Dass sie damit die Ereignisse ins Rollen und das Leben sämtlicher Hausbewohner durcheinander bringt, ahnt sie nicht….


    Margery Sharp hat mit ihrem Buch „Die Abenteuer der Cluny Brown“ einen unterhaltsamen historischen Roman vorgelegt, der das Leben einer ungewöhnlichen Frau wiederspiegelt und die daraus folgende Wirkung auf ihre Umwelt, die in starren gesellschaftlichen Strukturen verhaftet ist. Der Schreibstil ist flüssig, oftmals mit einem Augenzwinkern versehen und gibt doch Anlass zum Nachdenken ob der damaligen Situation, in der Frauen einem bestimmten Klischee zu entsprechen hatten und denen nicht die Freiheiten gegönnt waren, die heutzutage selbstverständlich sind. Die Landschaftsbeschreibungen sind bildhaft und geben dem Leser einen Eindruck der ländlichen Gegend. Der historische Hintergrund, der schon die Ahnung des zweiten Weltkrieges vermittelt, wurde nicht sehr ausgeprägt dargestellt. Hier handelt es sich eindeutig eher um eine Gesellschafts- bzw. Personenstudie, die aber äußerst gelungen ist.


    Die Charaktere sind sehr interessant ausgewählt und in Szene gesetzt worden. Jeder von ihnen besitzt individuelle Eigenheiten, wodurch sie allesamt recht authentisch und sehr lebendig wirken. Cluny Brown ist eine junge Frau, die oftmals naiv und unbedarft wirkt. Sie will sich nichts verbieten lassen und alles ausprobieren, was das Leben ihr bietet. Sie liebt Hunde, sagt immer, was sie denkt und oftmals hat man das Gefühl, sie ist völlig ahnungslos, was die Männerwelt betrifft. Allerdings kann sie mit ihrer Art auch überraschen – selbst den Leser – denn es gibt Situationen, da hätte man eine andere Reaktion von ihr erwartet und ist doch bass erstaunt, wenn man anerkennen muss, dass sie eigentlich mutig und entschlossen diesen oder jenen Schritt gewagt hat. Arn Porritt ist ein alter Knurrhahn, der aber innerlich ein weiches Herz hat. Seit dem Tod seiner Frau fühlt er sich einsam und lebt nur noch für seine Arbeit als Klempner. Dass er Cluny aufs Land verbannt ist der Tatsache geschuldet, dass er nicht weiß, wie er mit ihr umgehen soll und ihr doch das Beste im Leben wünscht. Lady Carmel und Sir Henry sind ein altes Ehepaar, das viele Höhen und Tiefen durchgestanden hat. Nun sind sie in einem Alter, wo sie ihre Ruhe haben wollen. Sohn Andrew kann sich immer noch nicht entscheiden, wohin sein Weg gehen soll. Gleichzeitig fühlt er sich unter Druck, heiraten zu müssen, damit der Fortbestand des Adelsitzes gewährleistet ist. Der polnische Schriftsteller Adam Belinski wirkt erst wie ein verschüchtertes Bürschchen, doch hat er es faustdick hinter den Ohren und wirbelt den ganzen Haushalt durcheinander. Auch die übrigen Protagonisten beleben mit ihrem Erscheinen den Verlauf der Handlung.


    „Die Abenteuer der Cluny Brown“ ist ein sehr amüsanter und unterhaltsamer Roman, in dem Upper Class und Working People zusammentreffen, was hier ungeahnte Auswirkungen auf beide hat. Eine geruhsame Gesellschaft wird durcheinander gewirbelt, um frischen Wind hineinzubringen. Cluny Brown ist ein Lüftchen, dass sich zu einem Sturm entwickelt, was sehr schön umgesetzt wurde. Ein schöner Roman für alle, die historische Gesellschaftsromane mögen. Auf jeden Falle eine Leseempfehlung!


    Unterhaltsame :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: .

    Bücher sind Träume, die in Gedanken wahr werden. (von mir)


    "Wissen ist begrenzt, Fantasie aber umfasst die ganze Welt."
    Albert Einstein


    "Bleibe Du selbst, die anderen sind schon vergeben!"
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    gelesene Bücher 2020: 432 / 169960 Seiten

  • dreamworx, vielen Dank für Deine ausführliche Rezension!


    Ich habe den Roman gestern beendet - und finde auch, dass er ein großes Lesevergnügen ist!


    Margery Sharp beherrscht ihr Handwerk: immerhin hat sie die Figuren Bernard und Bianca erfunden, die dann von

    Walt Disney adaptiert wurden, und kein geringerer als Ernst Lubitsch hat den Cluny-Stoff verfilmt.


    Mir hat die Ironie gut gefallen, mit der die Autorin die verkrusteten Strukturen der britischen Klassengesellschaft beschreibt. Da ist die Lady Carmel, die

    in ihrem Garten aufgeht; da ist ihr Mann, der eigentlich nichts tut und von allem keine Ahnung hat, und der politisch interessierte Sohn Andrew. Sie sind alle Mitglieder der britischen Oberschicht und erwartungsgemäß recht verschroben. Ein Beispiel: "Für ihre (Lady Carmel) Wahrnehmung war es unerheblich, ob Mr. Belinski das Opfer einer Blinddarmentzündung oder eines gewalttätigen Mobs geworden war. Ersteres interessierte sie nur am Rande, aber an Letzteres konnte sie nicht einmal denken."

    Damit bedient die Autorin natürlich Klischees, wie mit den anderen skurrilen Gestalten auch - aber sie differenziert das Klischee: sie sind auch großzügig, hilfsbereit, überaus gastlich dem Flüchtling Belinski gegenüber und ausgesprochen anständig.


    In diese starre Gesellschaft bricht Cluny ein, die völlig unkonventionell denkt und nicht einsehen kann, dass sie sich ihren Platz im Leben und in der gesellschaftlichen Hierarchie nicht selber suchen kann. Dieser Einbruch Clunys führt zu skurrilen Situationen, die aber nachvollziehbar sind und niemals in Slapstick abgleiten. Diese ausgesprochen humorvolle und auch spöttische, indirekte Art der Gesellschaftskritik bzw. das Eintreten für Selbstbestimmung hat mir gut gefallen.


    Nicht so gut gefallen hat mir die neue Übersetzung. Ich kenne die alte nicht, auch nicht das Original, und ich bin auch kein Fachmann für Übersetzungen. Aber so modische Wendungen wie "geschuldet sein" und vor allem das wiederholte "nicht wirklich" haben mich gestört.


    Dennoch: ein lesenswerter, leicht geschriebener Roman mit Tiefgang.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

    :study: Percival Everett, James.

    :musik: Agatha Christie, Mord im Pfarrhaus.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Die zwanzigjährige Clover Brown, genannt Cluny, ist Waise und lebt daher bei Ihrem Onkel Arnold Porritt. Der mag seine Nichte, aber findet es sehr schwer mit Cluny umzugehen, denn Cluny ist sehr speziell. Ihr Onkel ist der Meinung, dass sie einfach keine Ahnung hat, was sich gehört. Sie nimmt ihren Tee im Ritz und verbringt den Tag orangenessend im Bett. Dann übernimmt sie auch noch einen Auftrag ihres Onkels, weil der gerade nicht verfügbar ist. Da das so nicht weitergehen kann, schickt ihr Onkel sie in Stellung. Cluny wird Stubenmädchen bei Aristokraten auf dem Land. In Friars Carmel trifft sie Sir Henry und seine Gattin Lady Carmel, Sohn Andrew und seine Freundin Betty aus London sowie den Polen Adam Belinski. Auf Frias Carmel scheint die Zeit stehengeblieben zu sein, obwohl England sich auf den krieg vorbereitet.

    Dieses Buch ist eine Neuveröffentlichung des 1944 erstmals veröffentlichten Romans „Das Mädchen Cluny Brown“.

    Der Schreibstil passt wunderbar zum britischen Leben jener Zeit. Die Charaktere sind sehr gut und individuell dargestellt. Der Herr des Hauses Sir Henry frönt dem süßen Nichtstun, Lady Carmel hat alles im Griff und Andrew ist fasziniert vom drohenden Krieg. Cluny ist natürlich die Hauptperson. Sie ist einfach Cluny, will sich nicht anpassen und gibt nichts auf gesellschaftliche Konventionen. Mit ihrer ungewöhnlichen Art zieht sie die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich, auch die des Apothekers Wilson.

    Der Roman spielt in einer Zeit, in der das Klassendenken gepflegt wurde, aber die Protagonistin Cluny schert sich nicht darum, sondern begegnet allen Menschen auf Augenhöhe. Sie erfüllt ihre Aufgaben und tut doch das, was sie will.

    Ein unterhaltsamer Roman mit einer liebenswert spontanen und etwas unkonventionellen Protagonistin, der mir gut gefallen hat.

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Margery Sharp - Die Abenteuer der Cluny Brown / Cluny Brown“ zu „Margery Sharp - Die Abenteuer der Cluny Brown / Das Mädchen Cluny Brown / Cluny Brown“ geändert.
  • Das Buch war für mich eine ganz wunderbare und besondere Lektüre!


    Dieser Zauber basiert vor allem auf der erfrischenden Figur der Cluny Brown, Nichte eines Londoner Klempners und später Dienstmädchen auf einem abgelegenen Gut in Devonshire.


    Beginnt der Roman vom Setting her noch wie ein Mix aus Agatha Christie, Jane Austen und den Brontë-Schwestern, so nimmt er doch einen völlig anderen Verlauf: Cluny verweigert sich der ihr zugewiesenen Stellung in der gesellschaftlichen Hierarchie und den ihr damit gebotenen Möglichkeiten. Sie möchte einfach nicht verstehen, warum man sich nicht selbst den Platz im Leben zuweisen darf, den man haben möchte, und warum den unterschiedlichen Ständen unterschiedliche Freiräume zugestanden werden. Der Roman kratzt also heftig an dem starren Klassendenken, wie es in England bis heute eine Rolle spielt, und ist so ein wunderbares Plädoyer fürs reine freie Menschsein und die Verfügungsgewalt über das eigene Leben, ohne Beachtung der Herkunft und der sozialen Schicht, in die man hineingeboren wurde. Dies gelingt der Autorin ohne moralischen Zeigefinger, dafür jedoch mit viel Humor, amüsanten Charakterisierungen und skurrilen Dialogen.


    Die Handlung spielt zwar vor dem zunehmend ernsten historischen Hintergrund der Nazizeit, aber die Leichtigkeit des Romans bleibt zum einen durch das besondere Wesen und die Aktivitäten der Hauptfigur, zum anderen durch die fortwährenden ironischen Kommentare der auktorialen Erzählerin stets erhalten und macht das Buch gleichermaßen zu einer erfreulich entspannenden, aber auch nachdenklich stimmenden Lektüre.


    Ich hatte sehr viel Freude und schöne Lesestunden mit diesem Buch, das auch vom Cover her m.E. ein echter Hingucker ist.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    :study: Jutta Aurahs - Katzen :cat:

    :study: Han Kang - Griechischstunden

    :musik: Asako Yuzuki - Butter (Re-???)

    :musik: Satoshi Yagisawa - Die Tage in der Buchhandlung Morisaki

    :montag: Deb Olin Unferth - Happy Green Family (Reread)