Martin Krüger – Der Engel des Bösen

  • Spannend, originell, manchmal nicht 100%ig glaubhaft

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    "Die einzelnen Bände der Winter-und-Parkov-Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden."


    Dieser Hinweis findet sich auf Amazon, in dessem Imprint 'Edition M' das Buch erschienen ist. Da ich den zweiten Band gelesen habe, ohne den ersten zu kennen, kann ich bestätigen: Ja, das geht tatsächlich, ich habe mich recht schnell zurecht gefunden – allerdings habe ich nun das Gefühl, dass ich schon zu viel über die Geschehnisse im ersten Band weiß, um diesen noch mit der nötigen Spannung zu lesen! Ich würde also doch eher die 'richtige' Reihenfolge empfehlen. Denn empfehlen würde ich das Buch durchaus, wenn auch mit Einschränkungen.


    Die Handlung klingt erstmal so perfide wie gradlinig: ein wahnsinniger Täter zwingt seine zukünftigen Opfer in einer selbstherrlichen Inszenierung dazu, ihren eigenen Tod per Video anzukündigen und eine Frage oder Aufgabe zu stellen, für deren Lösung die Ermittler der Mordkommission dann einen sehr eng begrenzten Zeitrahmen erhalten. Gelingt diese Lösung, so verspricht er, wird das Opfer verschont. Und so läuft der Countdown...


    Derweil steigt nicht nur beim Leser die Spannung (und steigt und steigt und steigt), sondern die Ermittler geraten zunehmend an ihre Grenzen, es kommt zu Differenzen innerhalb des Teams – und der Zorn der Öffentlichkeit richtet sich immer stärker nicht nur gegen den Täter, sondern auch gegen die scheinbar erfolglose Polizei.


    Für mich sind es vor allem die beiden Hauptcharaktere, die das Buch tragen.


    Marie Winter ist eine sympathische junge Mutter, die es meist nicht einfach hat, dies mit ihrer Arbeit als Hauptkommissarin der Mordkommission zu vereinbaren, aber dennoch nie in Erwägung zieht, aufzugeben. Sie kann unglaublich stur sein, und obwohl sie manchmal fast zusammenbricht, ist sie entschlossen und geht bis an ihre Grenzen – oder darüber hinaus.


    Daniel Parkov hingegen kam mir vor wie eine Mischung aus Sherlock Holmes, Batman und Michael Knight. Mit Holmes verbindet ihn die messerscharfe Intelligenz, die soziale Inkompetenz und der ältere Bruder, der ihn in beidem noch übertrifft, dabei jedoch ein sehr mächtiger und auch skrupelloser Mann ist. Wie Batman besitzt Parkov ein großes Herrenhaus mit einem Butler, der weit mehr ist als nur ein Butler, und das vollgestopft ist mit Technologie vom Allerfeinsten. Und wie Michael Knight fährt er ein Auto mit einer überaus menschlich wirkenden künstlichen Intelligenz.


    Dennoch ist Parkov ein überaus interessanter Charakter, der trotz dieser Parallelen eine ganz eigene, starke Persönlichkeit hat. Zusammen ergeben Winter und Parkov ein Ermittlerduo, das sich gut ergänzt, auch wenn er sich oft über die Regeln hinwegsetzt.


    Der Fall entpuppt sich als zunehmend vielschichtig und verwickelt, dabei aber solide und schlüssig konstruiert. Einige Entwicklungen haben mich wirklich überrascht, und bis zum Schluss konnte ich die Auflösung des Ganzen nicht erraten. Bis zu einem gewissen Punkt fand ich das Buch unglaublich spannend und glaubhaft – danach leider nur noch spannend, denn da überspannte der Autor in meinen Augen den Bogen der Glaubwürdigkeit.


    Das lag überwiegend an Parkovs Auto, beziehungsweise 'Elvis', der damit verbundenen künstlichen Intelligenz. Nicht nur die Spracherkennung ist anscheinend perfekt, Elvis ist auch in der Lage, sehr allgemein formulierte Anweisungen ohne Rückfrage so zu interpretieren, dass er genau die gewünschten Informationen heraussucht. Der Name einer Person und "Überprüf sie." reicht aus – schon bedient sich die KI an Fallakten und stellt ungefragt nützliche Querverbindungen zum Hintergrund anderer Personen her.


    Wozu braucht man da eigentlich noch die Ermittler?


    In einer Superheldengeschichte kann ich so etwas hinnehmen – in einem realistischen Thriller wirkt es auf mich wie ein Hilfsmittel, um die Handlung schnell voran zu treiben, und das wäre meines Erachtens gar nicht nötig gewesen. Der Autor kann doch schreiben und hat vorher auch ohne Elvis wunderbar Spannung aufgebaut! Was mich ebenfalls gestört hat, sind Kleinigkeiten, die sich nicht stimmig auflösen: so ist die IT-Abteilung der Mordkommission anscheinend nicht in der Lage, ein Passwort zu knacken, das sich später als vierstellig und sehr einfach herausstellt.


    Der Schreibstil liest sich locker und flüssig. Größtenteils fand ich ihn sehr ansprechend, aber manchmal fand ich die verwendeten Metaphern und Bilder nicht schlüssig oder zu übertrieben, wie zum Beispiel:


    "Seine elektronisch verzerrte Stimme erinnerte an einen fernen, kalten, unnachgiebigen Felsen, der einsam durchs All trieb."


    Fazit:
    Mord als Inszenierung im Internet? Nicht undenkbar. Nicht mal unwahrscheinlich. Aber eine gute Grundlage für eine intelligent konstruierte Geschichte.


    Dieser Thriller kann punkten mit starken Charakteren, einer komplexen Handlung und überraschenden Wendungen. Einen Großteil des Buches war ich begeistert, aber gegen Ende las sich das Buch für mich zunehmend eher wie eine Folge von "Knight Rider", was ich sehr schade fand...


    Dennoch: ich fand das Buch unterhaltsam, spannend und vor allem wirklich originell, und ich werde zukünftige Fälle von Winter und Parkov sicher weiter verfolgen.