Irene Nemirovsky - Die Familie Hardelot / Le biens de ce monde

  • Der Verlag über das Buch
    Satt, selbstzufrieden und in der wohligen Gewissheit, dass sich nie etwas ändern wird: Die Fabrikantenfamilie Hardelot aus der französischen Provinz wiegt sich vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs in trügerischem Glück. Doch innerhalb einer Generation wird ihre bürgerliche Welt für immer hinweggefegt.
    Im Frühjahr 1940 beginnt Irene Nemirovsky die Arbeit an einem Buch, das ganz in der Tradition des großen europäischen Familienromans steht. Über Jahre hat sie die träge Selbstzufriedenheit der bürgerlichen Kreise, in denen sie verkehrte, beobachtet. Sie hat erlebt, wie diese Familien sich in Sicherheit wiegen und sich weigern, ein Zeichen der Zeit zu erkennen. Nun will Nemirovsky ihnen den Spiegel vorhalten. Der Roman, der unmittelbar vor "Suite francaise" entstand, wurde erst posthum 1947 veröffentlicht und ist der illusionslose Abgesang auf ein Bürgertum, das feige vor der Wirklichkeit die Augen verschließt.
    Ein großer Familienroman und zugleich ein Sittengemälde des französischen Bürgertums und seines Verfalls.


    Der Verlag über die Autorin
    Irene Nemirovsky wird 1903 als Tochter eines jüdischen Bankiers in Kiew geboren. Vor der Revolution von 1917 flieht die Familie und lässt sich in Paris nieder. Irene etabliert sich als Star der französischen Literaturszene. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges flieht sie mit ihren Töchtern in die Provinz, wird 1942 verhaftet und stirbt in Auschwitz. Erst sechzig Jahre später wird ihr Werk wiederentdeckt.


    Meine Gedanken und Eindrücke
    Zufällig bin ich in meiner Bibliothek über dieses Hörbuch gestolpert, und war von Anfang an begeistert von der breitangelegten Familiengeschichte der Hardelots, die ihren Bogen von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs spannt. Geschickt bettet die Autorin, von der ich noch nie zuvor gehört hatte, das Schicksal der Fabrikantenfamilie Hardelot in die stürmischen Zeitläufe, in die sie hineingeboren wird. Die Verknüpfung großer Zeitgeschichte mit detailreichen, oft akribisch beschriebenen alltäglichen Situationen machen das Besondere dieses Romans aus, der mich vor allem mit seiner wunderbaren Sprache beeindrucken konnte. Starke und schwache Charaktere treten aus dem Reigen der drei Generationen umfassenden Familie, deren Selbstzufriedenheit ich allerdings nicht mit so großer Bestimmtheit auszumachen vermochte, wie in der Verlagsinformation beschrieben. Rückblickend mag man dies so betrachten, aber welche wohlsituierten Mitglieder welcher Gesellschaften auch immer, wünschen eine Änderung sie zufriedenstellender Zustände? Auch in unserer Zeit liegt vieles im Argen, doch kann ich das große Umdenken, einen tiefgreifenden Wandel im Verhalten unserer konsumorientierten Gesellschaft nirgendwo entdecken. Beinahe das Gegenteil ist der Fall, Verzicht auf nicht unbedingt Notwendiges wird nach wie vor fast mitleidig oder misstrauisch beäugt, obwohl davon eines Tages vielleicht unser Überleben, gewiss aber das nachkommender Generationen abhängen wird.
    Im Falle der Familie Hardelot kamen noch Standesdünkel hinzu, da ein Familienerbe zu bewahren, nicht jede "Partie" als gut willkommen geheißen wurde. Wehrt sich der Sohn des Hauses gegen die Pläne des Patriarchen, muss er mit harten Konsequenzen rechnen, und doch erscheinen diese familiären Zwistigkeiten als nichtig im Angesicht der großen Katastrophe, die über Europa hereinbricht. Eine Generation ist sogar verurteilt, zwei Weltkriege als Erwachsene miterleben zu müssen, und nimmt mit bewundernswertem Mut ihr unabwendbares Schicksal an. Einmal mehr sind mir jene Figuren, die Irene Nemirovsky unglaublich lebendig zu zeichnen versteht, als Spielball der Geschichte erschienen, hineingeboren in eine Zeit der Umbrüche, in denen Weltreiche stürzen und jahrhundertealte Systeme zugrunde gehen.
    Stilistisch brilliant verbindet die Autorin große Ereignisse mit individuellen Geschichten, dies alles in nur 7 Stunden und 15 Minuten großartig gelesen von der Schauspielerin Iris Berben. Ihre warme Stimme mit der unverkennbaren Klangfarbe hat mich sofort in ihren Bann gezogen, und aus einem beeindruckenden Roman ein unvergessliches Hörerlebnis gemacht.
    Welches Medium der geneigte Leser auch immer wählen mag, in keinem Fall sollte er sich die Werke der hochbegabten Autorin entgehen lassen, die ich gerne als meine persönliche literarische Entdeckung des noch jungen Jahres verbuchen möchte.

  • "Club der Némirovsky-Freunde" hier im BT

    Wenn es hier schon einen Club gibt, wäre es dann nicht auch möglich, dass wir uns mal zu einer MLR zusammenfinden? Diese Autorin bietet sich dafür ja geradezu an.

  • Danke für die Rezension und die Anregung.
    Ich oute mich als Nicht-Nemirovsky-Kenner, aber
    Du hast mich neugierig gemacht.
    Eine MLR fände ich prima!

    :study: Percival Everett, James.

    :musik: Agatha Christie, Mord im Pfarrhaus.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • die ich gerne als meine persönliche literarische Entdeckung des noch jungen Jahres verbuchen möchte.

    wird ja auch Zeit :loool: ich bzw. wir vom Club der Némirovsky-Freunde reiben Euch allen diese Autorin ja ständig bei passender und unpassender Gelegenheit unter die Nase 8)

  • wird ja auch Zeit ich bzw. wir vom Club der Némirovsky-Freunde reiben Euch allen diese Autorin ja ständig bei passender und unpassender Gelegenheit unter die Nase

    Hab ich noch nie und nirgends etwas gehört oder gelesen, bin jetzt aber natürlich umso stolzer auf meine "Entdeckerfähigkeiten".
    Diese Bücher wären doch etwas für eine MLR, was meinst Du?

  • Diese Bücher wären doch etwas für eine MLR, was meinst Du?

    Ja, macht mal!

    :study: Percival Everett, James.

    :musik: Agatha Christie, Mord im Pfarrhaus.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • bestimmt v.a. die Suite francaise

    Mir ist alles recht, ich kenne kein einziges und
    freue mich auf Neues. Vorausgesetzt, es gibt eine deutsche
    Übersetzung, Französisch ist nicht so meins...

    :study: Percival Everett, James.

    :musik: Agatha Christie, Mord im Pfarrhaus.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • die ich gerne als meine persönliche literarische Entdeckung des noch jungen Jahres verbuchen möchte.

    Wie schön :love: Es freut mich ungemein das dir Frau Nemirovsky gefällt.

    Na dann willkommen im "Club der Némirovsky-Freunde" hier im BT

    Du nimmst mir das Wort aus dem Mund. Und nicht nur mir.

    Bin schon da :wink: wie ich sehe haben wir ein neues Mitglied

    ich bzw. wir vom Club der Némirovsky-Freunde reiben Euch allen diese Autorin ja ständig bei passender und unpassender Gelegenheit unter die Nase

    ................und trotz dem immer noch nicht genug :cry:

    Sobald wir lernen, uns selbst zu vertrauen, fangen wir an zu leben. ( Johann Wolfgang Goethe )


    Jede Begegnung , die unsere Seele berührt hinterlässt eine Spur die nie ganz verweht. ( Lore-Lillian Boden )

  • bestimmt v.a. die Suite francaise

    Die hat mich auch schon angelacht. :D Und könnte vielleicht und möglicherweise nach dem "David Copperfield" ins Auge gefasst werden :?: Gut, dass wir ein Schwarmgedächtnis haben, da kann ja nichts verloren gehen.

    Vorausgesetzt, es gibt eine deutsche
    Übersetzung,

    Ja, gibt es:

  • Es freut mich ungemein das dir Frau Nemirovsky gefällt.

    Und wie, liebes Glöckchen, bin ganz versunken in dieser vergangenen Zeit, die sie so wunderbar lebendig werden lässt. Und dazu noch die Stimme von der Frau Berben, das war einfach ein Erlebnis. Die liest unglaublich, das merkt man bei ihren Filmen gar nicht so.

    und trotz dem immer noch nicht genug

    Zu lesen gibt es ja genug, hoffentlich auch noch viel zu veröffentlichen. Die Biografie lese ich ganz sicher auch einmal.

  • könnte vielleicht und möglicherweise nach dem "David Copperfield" ins Auge gefasst werden

    Warum so zögerlich?

    :study: Percival Everett, James.

    :musik: Agatha Christie, Mord im Pfarrhaus.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Warum so zögerlich?

    Eine Leserunde genügt mir gewöhnlicherweise. Zwei Leserunden zeitgleich artet bei mir in Stress aus. Generell lese ich zudem bei Leserunden die Bücher, die ich aufgrund ihrer Dicke oder Komplexität wahrscheinlich nicht alleine durchhalten würde (Moby Dick, Das Foucaultsche Pendel, Ulysses, usw) Bei Némirovsky besteht die Gefahr nicht. Deren Bücher hebe ich mir auf, sollte ich mal in eine Leseflaute kommen. Vermutlich würde ich den Roman auch rasch durchlesen und mich nicht ans Tempo der Leserunden halten wollen. Aber vielleicht findest Du ja im Verabredungsthread Interessierte?

  • Zwei Leserunden zeitgleich

    Nein, das will ich auch nicht.
    Mir gefällt Syllis Vorschlag, ein Werk nach dem "Copperfield" zu lesen.
    Mein "zögerlich" bezog sich auf Syllis "vielleicht und möglicherweise".
    Vermutlich hast Du Recht, dass man sich ein Werk von Nemirovsky auch
    so mal gönnen sollte.
    Und ich für mein Teil bin mit "Ulysses" auch noch ausgelastet :wink: !

    :study: Percival Everett, James.

    :musik: Agatha Christie, Mord im Pfarrhaus.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Warum so zögerlich?

    Ist oft schwierig einen Termin zu finden. Der Charles Dickens wird uns ja ein Weilchen beschäftigen, aber danach finden sich hoffentlich wackere Mitstreiter.

  • Sylli, wir haben ja auch Zeit.
    Und zur Not nehmen wir es mit nach drüben!

    :study: Percival Everett, James.

    :musik: Agatha Christie, Mord im Pfarrhaus.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).