Halldór Laxness - Die Litanei von den Gottesgaben / Guðsgjafaþulan

  • Autor: Halldór Laxness
    Titel: Die Litanei von den Gottesgaben, aus dem Isländischen übersetzt von Bruno Kress
    Originaltitel: Guðsgjafaþulan, erschien erstmals 1972
    Seiten: 176 Seiten unterteilt in 30 Kapitel
    Verlag: Steidl Verlag
    ISBN: 9783869304076


    Der Autor: (der Laxness-Museumshomepage entnommen, gekürzt)
    Halldór Laxness (1902-1998) überragt alle übrigen isländischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Über einen langen Zeitraum hinweg war er äußerst produktiv, verfaßte dreizehn umfangreiche Romane, fünf Theaterstücke und die Dramatisierung eines seiner Bücher und veröffentlichte zusätzlich Sammlungen von Kurzgeschichten und kürzeren Artikeln sowie seine Memoiren. Seine Bücher wurden in dreiundvierzig Sprachen übersetzt und erschienen in mehr als fünfhundert Ausgaben weltweit. Seine Entwicklung als Schriftsteller ist einzigartig, die Vielseitigkeit seiner Werke hat kaum ihresgleichen, und man darf sagen, mit jedem Buch habe er seine Leser aus einer unerwarteten Richtung überrascht. 1955 bekam er den Nobelpreis für Literatur. (...)
    Halldór Laxness trat früh zum Katholizismus über, wurde dann Sozialist und rückte später von allen Ideologien, bis vielleicht auf den Taoismus, wieder ab. In seinen Büchern aber kehren bestimmte grundlegende Züge immer wieder. Er sah die Dinge aus einem eigenen Blickwinkel, formulierte oft sehr scharf und kritisch, konnte seinen Figuren und ihren Handlungen jedoch immer auch komische Seiten abgewinnen und stand stets auf der Seite der Schwachen.


    Inhalt: (Klappentext)
    Der Hering ist eine Gabe Gottes. Und Gottes Wege sind unerforschlich. In manchen Jahren kommt der Hering in riesigen Schwärmen vor die Küsten; dann kann man innerhalb kürzester Zeit reich werden und in den Fischerdörfern herrscht Goldgräberstimmung. Dann wieder bleibt der Hering plötzlich aus, und die »Boomtowns« in den Nordwestfjorden werden zu Geisterstädten. Der Heringsexporteur Bersi Hjalmarsson lässt sich von dieser Unzuverlässigkeit der göttlichen Vorsehung nicht beeindrucken. Er lebt auf großem Fuß und verpulvert das Geld seiner Landsleute mit dilettantischen Geschäften und waghalsigen Spekulationen. Die riesigen Summen, die eigentlich dem ganzen Volk gehören, kann Bersi nur deshalb verspielen, weil die Mächtigen im Land fast alle genauso dilettantisch sind wie er.


    Hintergrund:
    Ehrlich gesagt konnte ich es mir kaum vorstellen, wie wichtig der Fischfang für ein ganzes Land sein kann. Okay, der Fischer und seine Familie leiden darunter, wenn der Fang ausbleibt, aber als Leser im 21. Jahrhundert in einem erfolgreichen Industrieland ist man es gewohnt, dass es dann eben andere Arbeiten gibt oder der Staat einspringt. Daher möchte ich vorab aus einem Zeitungsartikel des Spiegels vom 02. Dez 1968 zitieren:


    „Am Jubelfest, ihrem 50. Unabhängigkeitstag, hatten 200 000 Isländer um die Monatswende wenig Grund zum Jubeln: Ihr Staat bewegt sich am Rand des wirtschaftlichen Ruins, das Staatsbankett stand im Schatten des Staatsbankrotts. Im September schon hatte Islands Regierung ausländische Waren und Reisedevisen mit einer Sondersteuer von 20 Prozent belegt; im Oktober verfügte sie eine strenge Devisenbewirtschaftung; im November schließlich proklamierte Regierungschef Bjarni Benediktsson eine Währungsabwertung von 35,2 Prozent. Es war die sechste Abwertung seit Kriegsende -- Islands Krone hat heute nur noch ein Zehntel ihres damaligen Wertes.
    Zum Sündenbock für "die schwerste Krise dieses Jahrhunderts" (Benediktsson) hat die Regierungskoalition aus Konservativen und Sozialdemokraten den nordatlantischen Hering erklärt, der seit etwa zwei Jahren alle Tradition mißachtet: Die vor Norwegen fett gewordenen Schwärme nehmen nicht mehr Sommerkurs auf die in Islands Hoheitsgewässern lauernden Fischer, sondern schwimmen weit an Island vorbei in Richtung Spitzbergen.
    Und von den Launen des Herings sind die Isländer abhängig: Trotz gelegentlicher Absatz- und Preiskrisen in früheren Jahren hielten sie an der alten Gewohnheit fest, ihren Außenhandel zu 92 Prozent mit Fischereiprodukten zu bestreiten.“


    Wer sich für das Thema interessiert, kann noch ein wenig über die Kabeljaukriege lesen, die Island und England 1958 – 1975 miteinander führten (Island erweiterte seine Fischfangzone schrittweise von 4 auf 200 Seemeilen). Zudem sind die Fangquoten alle paar Jahre wieder Thema zwischen EU und Island (und demnächst wohl auch mit England), um der Überfischung entgegen zu treten.


    Meinung:
    Ein grosses Thema also, und nicht einfach nur eine willkürliche Themenwahl, um eine humorvolle Satire über Politik und Wirtschaft zu schreiben.
    Zunächst ist der Aufbau des Romans einigermaßen komplex: Der Erzähler trifft an einem Frühlingsmorgen im Jahr 1920 in Kopenhagen den allseits bekannten Heringshändler, Islandsbersi genannt. Mit ihm verbringt er einen sonderbaren Tag und erhält Einblick in das spekulative und prahlerische Geschäft des Exporteurs. Erst ein paar Jahre später werden sich die Beiden wiedersehen, und was in der Zwischenzeit passiert, darüber berichtet der Erzähler aus Zeitungsartikeln, Gedichten und den Memoiren eines Seekapitäns… Dadurch wird eine dokumentarische Glaubwürdigkeit vorgetäuscht, die so sicherlich nicht gegeben ist, auch wenn sich einige Zeitgenossen Laxness in den Beschreibungen wiedererkannten.
    Der Erzähler versucht sich als Vogelhändler und erhält durch Islandsbersi zudem die Möglichkeit als Redakteur zu arbeiten. Immer wieder treffen sie sich, tauschen sich über Politik aus, das Auftreten von Islandsbersi bleibt stets grosspurig aber herzlich, egal wie erfolgreich der Fischfang und der Absatz verlief. Parallel dazu gibt es immer wieder skurille, absurde Geschichten, bspw begegnet der Erzähler Islandsbersis Tochter oder ihm wird eine Entenfarm zum Kauf angeboten, mitsamt der 27 Wechsel, die darauf laufen. Eine geradlinige Handlung gibt es nicht unbedingt; vielmehr nutzt Laxness solche Szenen, um sich mit viel Ironie über die damaligen Zustände lustig zu machen. Daher ist es, ähnlich wie „Am Gletscher“ ein sehr humorvolles Buch, das nicht mehr unbedingt wie „Atomstation“ oder „Sein eigener Herr“ gesellschaftlich eine Diskussion anstossen und die Welt verändern möchte.