Halldór Gudmundsson - Halldór Laxness

  • Autor: Halldór Gudmundsson
    Titel: Halldór Laxness, aus dem Isländischen übersetzt von Helmut Lugmayr
    Originaltitel: Halldór Laxness - ævisaga, erschien erstmals 2004
    Seiten: 864 Seiten in sechs Abschnitten mit Unterkapiteln
    Verlag: btb Verlag
    ISBN: 9783442751426


    Der Autor: (Klappentext)
    Halldór Gundmundsson wurde 1956 in Reykjavik geboren. Er studierte Literaturwissenschaften in Island und Kopenhagen und war lange Jahre Verlagsleiter von Islands größtem literarischen Verlag Mal og menning. Seine Biografie über Halldór Laxness wurde ausgezeichnet mit dem Isländischen Literaturpreis und von den isländischen Buchhändlern zur Biografie des Jahres gewählt.


    Inhalt: (Klappentext)
    Die große Biografie über den isländischen Schriftsteller und Nobelpreisträger für Literatur Halldór Laxness (1902-1998). Eine spannende Geschichte über einen europäischen Autor in einem Jahrhundert der Extreme: von Hollywood bis Moskau, vom katholischen Kloster bis zum kommunistischen China - Laxnessˋ bewegtes Leben steht exemplarisch für die Vielfalt literarischer Strömungen im 20. Jahrhundert.


    Meinung:
    Tja, wo soll ich anfangen? Wer freiwillig zu nahezu 900 Seiten in Form eines Ziegelsteins greift, um über einen isländischen Schriftsteller zu lesen, der muss bereits Fan von Laxness sein, oder nicht? Ehrlich gesagt lag das Buch rund zehn Jahre wie Blei auf meinem SUB. Von Laxness kannte ich bis vor kurzem kein Buch, und Biographien lese ich ebenfalls selten. Nachdem ich allerdings kürzlich die Gelegenheit hatte, Laxness Haus in Gljúfrasteinn / Mosfellsbær zu besichtigen, wurde mein Interesse geweckt. Und vor diesem Hintergrund habe ich die letzten drei Monate viel Zeit mit dieser Biographie verbracht, ein paar seiner Romane parallel gelesen und über Island und seine jüngere Geschichte recherchiert. Diesen Aufwand betreibt man wohl eher selten, aber mir hat es unglaublich viel Spaß gemacht, und diese Biographie war sozusagen im Mittelpunkt meines kleinen Studiums.
    Zunächst einmal ist das Buch gut strukturiert in Kindheit und Jugendjahre, anschließend einzelne Kapitel in Dekaden unterteilt, und die letzten dreißig Jahre nehmen dann in einem abschließenden Kapitel nur noch 60 Seiten ein. Schwerpunkt ist somit klar auf Laxness Entwicklung von einem Jungen auf einem abgelegenen Bauernhof hin zu einem weltweit anerkannten Schriftsteller, der die isländische Sprache „modernisiert“ hat. (Sein Landsmann Gunnar Gunnarsson bspw schrieb überwiegend in dänischer Sprache)
    Nun lebte Laxness beinahe ein ganzes Jahrhundert und Island gehörte zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch zu Dänemark, die Universität wurde 1911 gegründet, ein Verlagswesen für die knapp 100.000 Bewohner auf der Insel gab es praktisch kaum. Kaum Infrastruktur (Straßen und Elektrifizierung), sehr ländlich und dünn besiedelt, musste es einem ehrgeizigen jungen Mann wirklich wie das Ende der Welt vorgekommen sein. Gudmundsson beschreibt Laxness als selbstbewussten, experimentierfreudigen, rastlosen und zielstrebigen Menschen, der sich in vielen Bereichen engagiert, schnell begeistert, allerdings auch die Meinung ändern kann, egozentrisch ist und nicht allzu sehr auf die Befindlichkeiten anderer achtet. Dem entsprechend vielseitig war denn auch Laxness Leben.
    Mit Anfang 20 konvertierte er zum Katholizismus, wählte für sich den Beinamen Kiljan und verbrachte einige Zeit im Benediktinerkloster St. Maurice de Clervaux in Luxemburg. Irgendwann merkte er, dass er für das Klosterleben doch nicht geschaffen war, ging nach Hollywood und versuchte sich als Drehbuchautor. Generell reiste er viel, beschäftigte sich mit neuen Technologien, politischen Ideen (dem Kommunismus stand er offen gegenüber, weshalb er großen Erfolg in der DDR, Russland, etc hatte, aber in den USA kaum verlegt wurde), stand in regem Austausch mit anderen Schriftstellern und Künstlern. Durch sein Engagement und seine direkte, konfrontative Art spaltete er allerdings auch die Gemüter. Insbesondere in einem solch kleinen Land wie Island, war er (zumindest bis zur Verleihung des Nobelpreises) stark umstritten und seine Streitereien mit den Politikern Jonas von Hrifla und Bjarni Benediktsson waren sehr unterhaltsam, sei es wegen der modernisierten Orthographie bei einer Neuausgabe der Islandsagas oder zur Debatte betreffend eines Stützpunktes für die US-Armee bei Keflavik.
    Und das hat mir an dem Buch auch so gut gefallen: es war nicht einfach eine Aneinanderreihung von Fakten (ich kenne hauptsächlich die rororo-Monographien, die sehr fokussiert sind – praktisch zum Nachschlagen, aber nach der Lektüre vergesse ich die ganzen Zahlen auch wieder). In seitenlangen Infokästen werden Hintergründe erklärt, Lebensläufe seiner Wegbegleiter erörtert, die Entwicklung Islands zur damaligen Zeit beschrieben und alles mit allem in Zusammenhang gebracht. Es ist somit nicht nur eine Biographie über Halldór Laxness, sondern anhand dessen Lebenslauf erfährt man als Leser auch sehr vieles über die geschichtliche Entwicklung Islands, dessen Politik, übrige Künstler und, und, und. Da hat sich Halldór Gudmundsson viel Mühe gemacht, nicht nur mit seinen Recherchen (es werden eine Menge Bilder, Interviews und Sekundärliteratur im Anhang aufgeführt), sondern mehr noch mit dem Vermitteln der jüngeren isländischen Geschichte, unbedarften ausländischen Lesern gegenüber.
    Man muss natürlich viel Motivation, Konzentration und Interesse mitbringen; ein Buch zum nebenbei lesen ist es garantiert nicht, aber für mich war es eines der Highlights in 2017.

  • Und hier, der Vollständigkeit halber, ein Hinweis auf eine deutlich gekürzte Ausgabe aus dem Steidl-Verlag, der Laxness Bücher im deutschsprachigen Raum verlegt.
    Für die "zaghaften" Leser, die sich für Laxness interessieren, aber doch nicht "erschlagen" werden möchten :wink:

  • Danke für die Rezension!
    Mir ging es ähnlich: durch eine Island-Reise wollte ich unbedingt etwas von Laxness lesen und habe mir
    "Die Island-Glocke" gekauft und angelesen. Dabei blieb es.
    Statt dessen habe ich mir einige isländische Sagen und Krimis gegönnt :-)
    Deine Rezension erinnert mich wieder an Laxness.

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Vigdis Hjorth, Ein falsches Wort.

    :musik: Leonie Schöler, Beklaute Frauen.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • @Nungesser Du hast eine tolle Rezension geschrieben! Ich merke gerade, dass ich mir das Buch noch einmal vornehmen sollte, so vieles ist wieder vergessen. Von Laxness habe ich mit Begeisterung "Die Islandglocke" und "Salka Valka" gelesen. Ich freue mich schon sehr darauf noch mehr von ihm zu entdecken. Ein interessanter Autor finde ich.

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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