Anna-Katharina Hahn, Am schwarzen Berg


  • Auch in ihrem zweiten Roman „Am schwarzen Berg“, der für den Leipziger Buchpreis 2012 nominiert war, beschäftigt sich die Stuttgarterin Anna-Katharina Hahn mit den Menschen und der bürgerlichen Kultur in ihrer Stadt. Es ist die Geschichte zweier benachbarter Ehepaare und die Geschichte eines jungen Mannes und seiner Familie.

    Da sind die Bubs, Emil und Veronika, er seit Jahrzehnten Gymnasiallehrer mit einem Faible für Eduard Mörike, sie ebenso lang als Bibliothekarin arbeitend. Ihr Haus ist voller Bücher. Doch neben den Büchern mögen beide auch den Alkohol, dem sie, ohne dass es groß aufzufallen scheint, so zusprechen, dass jeder schon morgens einen Flachmann in der Tasche hat, wenn sie zur Arbeit gehen. Ihre Ehe ist kinderlos geblieben, was sie früh schon hingenommen haben. Umso intensiver widmet sich vor allem Emil den kleinen Nachbarsjungen Peter Rau, der mit seinen Eltern Hajo und Clara, einem Arzt und seiner ihm in der Praxis in der Stadt stundenweise assistierenden Frau in das Haus nebenan gezogen ist, nachdem die Vorbesitzerin verstorben ist.

    Während die Bubs an ihrem Haus am schwarzen Berg wenig investieren, haben die Raus das alte Haus der Vorbesitzerin in kurzer Zeit zu einer schönen Villa umgebaut.

    Das Buch beginnt damit, dass Peter Rau in einem erbärmlichen Zustand, schwer an Depression erkrankt, zu seinen Eltern nach Hause zurückkehrt, nachdem ihn seine Frau zusammen mit den beiden Söhnen verlassen hat. Peter Rau ist einer der Parkschützer bei Stuttgart 21, baut Baumhäuer und lebt nur noch für dieses Engagement, lässt dabei nicht nur sich selbst, sondern auch seine Söhne und seine Ehe so verwahrlosen, dass seine Frau Mia, deren Geschichte erst gegen Ende des Buches näher beleuchtet wird, ihn verlässt und ein eigenes Leben mit einem neuen Mann, der ihr und ihren Kindern wirtschaftlich und emotional eine Zukunft zu geben verspricht, beginnt.

    Auch Emil hat die Rückkehr von Peter beobachtet, und ist ganz besorgt um diesen jungen Mann, mit dem er seit Jahrzehnten ein Verhältnis hatte wie zu einem eigenen Sohn. In Rückblicken erzählt Anna Katharina Hahn nun nicht ohne Kritik von dieser Beziehung und von einer fast zur Manie werdenden Begeisterung Emils für das Leben und das Werk Eduard Mörikes, mit der er auch Peter ansteckt. Hahns Kritik ist stellenweise beißend und hart, wenn sie die unterschiedliche, in ihrer spieß- bzw. bildungsbürgerlichen Dumpfheit und Eindimensionalität doch sehr ähnliche Lebensweise der beiden benachbarten Ehepaare beschreibt. Doch auch den in Peter Rau wiederkehrenden schwäbischen Anarchismus überhäuft sie mit immanenter Kritik.

    Nachdem Peter halbtot nach Hause gekommen ist, versucht ihn sein Vater mit Medikamenten, Emil, Veronika und seine Mutter Carla eher mit Mutmachparolen wieder aufzurichten. Emil macht sich zusammen mit dem durch die Tabletten nach einigen Wochen wieder aktiveren Peter auf die Suche nach Mia und den Kindern.

    Sie ahnen aber nicht, dass die längst im Haus ihres neuen Partners Georg im Tessin untergekommen sind, und zusammen ein neues Leben in Stuttgart planen. Georg ist ein sehr sensibler Mann, der Mia dazu bringt, sich bei Peter zu melden.

    Dort am schwarzen Berg wird die eingetroffene Email von Mia gefeiert und alles scheint am Ende des Buches wieder in normale Bahnen zu geraten. Scheint…

    Anna Katharina Hahn ist es auch im neuen Roman hervorragend gelungen, mit einer kühlen und distanzierten Sprache den Tiefenschichten bürgerlichen Lebens auf die Spur zu kommen. Was sie dabei zu Tage fördert,
    ist für den Leser oft nur schwer zu ertragen. Denn bei aller oberflächlichen Freundlichkeit und allem gelehrten Engagement und Wissen – die Menschen in diesem Buch bleiben sich fremd, vor allen Dingen sich selbst gegenüber. Jeder findet seine eigene Weise, die Erkenntnis dieser Wahrheit, die sich dem Leser mit jeder Seite mehr aufdrängt, vor sich selbst zu verbergen. Vor allem mit Alkohol, aber auch mit Arbeit und im Falle von Peter mit einem seine ganze Familie und sich selbst zerstörenden wutbürgerlichen Engagement.

    Einzig Mia, die erst spät im Buch zu Wort kommt, scheint begriffen zu haben, dass sie die Möglichkeit hat, sich zu befreien zu einem neuen Leben jenseits des anarchischen Lebens ihres Mannes und der fassadenhaften Mustergültigkeit sowohl der Bubs als auch ihrer Schwiegereltern.

    Eine Rezensentin (Helga Kurz bei amazon) hat geschrieben: „Das letzte Stück bin ich, von bangen Vorahnungen getrieben, zwischen den Zeilen des Buches einbrechend, gerannt, um wenigstens mich selbst zu retten.“

    Genauso habe ich es auch erlebt. Ein Roman, der fesselt, den ich nicht aus der Hand legen konnte, und der mich, obwohl ich Stuttgart nicht kenne, tief getroffen hat. Anna Katharina Hahn wagt sich mit ihrer Sprache hinter die Fassaden eines bürgerlichen Lebens, das seine Wurzeln zwar kennt, sie aber mitten im Alkohol und anderen Betäubungen vertrocknen lässt.