Hugo Hamilton - Der irische Freund/Hand in the Fire

  • Inhalt (Klappentext):
    Der Serbe Vid Cosic versucht in seiner neuen Heimat Dublin als Schreiner Fuß zu fassen. Er möchte alles wissen über Irland und seine Geschichte, seine Sprache und seine Menschen, möchte einer von ihnen sein. Als er durch einen Zufall auf Kevin Concannon trifft, einen jungen Anwalt, und schnell einen Freund in ihm findet, ist er unendlich dankbar. Aber von Anfang an liegt der Schatten der Gewalt über dieser Freundschaft, es ist eine Allianz aus Loyalität und Schuld. Als Vid von Kevin den Auftrag erhält, das Haus der Concannons von Grund auf zu renovieren, lernt er dabei auch Kevins Mutter kennen, seine jüngere Schwester, seine Freundin. Die Familie, die ihn so offen aufnimmt, fasziniert Vid zutiefst, aber erst spät, zu spät, begreift er, dass sein irischer Freund so viel Nähe gar nicht wollte.....


    Autor:
    Hugo Hamilton wurde 1953 als Sohn eines irischen Vaters und einer deutschen Mutter in Dublin geboren. Er arbeitete zunächst als Journalist, bevor er Kurzgeschichten und Romane veröffentlichte. Mit seinen Erinnerungsbänden "Gescheckte Menschen" und "Der Matrose im Schrank" erregte er großes Aufsehen. 2007 erschien "Die redselige Insel", ein Reisetagebuch auf den Spuren Heinrich Bölls, und zuletzt der Roman "Legenden" (2008). Hugo Hamilton lebt mit seiner Familie in Dublin.


    Meine Meinung und Bewertung:
    Vid Cosic ist vor der Gewalt in seinem Land geflohen. Er hofft auf einen Neuanfang in Irland. Er möchte einer von ihnen werden, und ist mehr als bemüht um alles perfekt zu machen. Dann lernt er Kevin kennen, ist stolz auf dessen Freundschaft und würde alles tun um diese Verbindung zu stärken und zu erhalten. Als Kevin ihn um einen großen Gefallen bittet, merkt er zum ersten Mal irritiert, dass auch hier Gewalt im Spiel ist. Doch er akzeptiert um der Freundschaft willen. Schon in diesem Moment fragt man sich wieviel Freundschaft verlangen, fordern darf ohne den anderen unter Druck zu setzen.
    Mit dem Kennlernen der Familie und der Freundin steigt auch Vids Verantwortungsgefühl. Er widerspricht, will raten, deckt Unzulänglichkeiten auf, bietet Hilfe an, behütet, bewacht. Er meint es gut, aber die meisten Situationen wenden sich gegen ihn.
    Ein Roman über die Menschen in Irland, ihre Besonderheiten, über Verletzbarkeiten, das Scheitern im Leben, Alkohol, Gewalt und die alltäglichen Probleme -
    Vids Drang nach Zugehörigkeit, Heimatgefühl, Freundschaft und Liebe.
    Wieder einmal zeigt Hugo Hamilton seine große Erzählkunst. Er leuchtet in den letzten Winkel, holt unzulängliches an die Oberfläche. Die Frage der Schuld stellt sich, aber niemand ist vollkommen. Ein wunderbares Buch, geheimnisvoll, hintergründig und allzu menschlich. Für nur mal zwischendurch völlig ungeeignet, denn man lebt mit.
    Meine Bewertung: :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb::thumleft:


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: Sarah Waters, Der Besucher

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Original : Hand in the Fire (Englisch/Irland, 2010)


    BEMERKUNGEN :
    Nun habe ich dieses Buch endlich gelesen, und danke Wirbelwind ausdrücklich für die Rezi. Den eigentlichen Handlungsstrang werde ich nicht (nochmals) erzählen, sondern hier nur einige persönliche Leseeindrücke und Überlegungen anfügen.


    Ich entdeckte einen für mich neuen Autor, der in sich einige Begleitmerkmale seiner hiesigen Hauptfigur trägt : als halbes Ausländerkind in Irland aufzuwachsen, eventuell für die meisten nur verbunden mit EINEM geschichtlichen Ereignis seines ehemals faschistischen Landes, im Visier eventuell von Spott und Mißverständnissen.
    Vid, der aus Serbien kommende Einwanderer und Ich-Erzähler, hat ähnliche Wurzeln, und einen solchen Durst nach Eingliederung, nach Zugehörigkeit und will sein neues Land lieben. Erst im Laufe des Romans wird hier der Ton etwas nüchterner. Wie oft wird diese Motivation beim « Einwanderer oder Flüchtling » vergessen ? Er ist sich der Andersartigkeit bewußt, insbesondere sprachlich : die Sprachprobleme führen zu Mißverständnissen und können Ausgangspunkt für Spielereien, Spötteleien der anderen mit ihm sein. Die eigenen Denkmuster, Symbole, Wortbedeutungen zählen hier oft nicht : sie haben einen anderen Inhalt, können anders gedeutet werden ; sind anders zu deuten, was seine Sicht auf die Dinge anbetrifft. Sie verursachen manchmal Schweigen und Zurückhaltung, können als Unschuld oder gar nahezu Zurückgebliebenheit von anderen eingeschätzt werden.


    Für mich war all dies, bevor man vom eigentlichen Geschehen erzählen könnte, ein ganz wesentliches und interessantes Thema des Buches. Es lädt uns ein, den « Ausländer »unter uns anders zu betrachten. Und es ist ebenso erstaunlich, wie Hamilton durch Vid uns mit vielen solcher Geschichten vertraut macht : von Fremden im engen oder weiteren Sinne, die verloren sind, anders sind, « weder von hier, noch von da », aber bewohnt nach einem starken Durst nach Eingliederung und Zugehörigkeit : so zB Johnny, der Vater von Kevin und Ellis ; die ertrunkene schwangere Frau ; die Drogenabhängige (die Fliehenden der heutigen Tage); die Freundin Vids Liuda aus Moldawien oder Darius etc... Und die Verwurzelung der Geschichte in Irland an sich ist dann eben auch kein Zufall : handelt es sich doch um das Land Europas schlechthin, von dem in einem gewissen Zeitraum die Menschen ausgezogen sind in die Fremde.


    Seine Stellung als Aufgenommener führt dazu, dass er als Dankbarkeit mit Kritik zurückhält und zunächst alles im positiven Lichte sehen will. Wie eine ausgewogene Haltung finden?


    Die Analysen Vids als Ich-Erzähler zeigen, dass er gleichzeitig manche Dinge sieht. Er ist aber wie machtlos, eben nicht Position zu beziehen und wird von den verschiedenen Hauptfiguren mehr oder weniger als Schachfigur eingesetzt, als Dienstbote, Schlichter oder gar als Sündenbock. Unser Kevin scheint im Eifer des Gefechts nahezu zu vergessen, wer am Ausgangspunkt einer gewissen Problemwelle stand. Auslöser war er. Doch er überträgt leise und unauffällig die Verantwortung für manche Probleme auf Vid. Dieser scheint zudem auch noch bereit, seine Rolle als Ausgangsproblem anzuerkennen. Und sieht dann Kevin als seinen Retter...


    Und als « theoretisches » Familienmitglied fühlt er sich auch in die Verantwortung genommen. Durch seine Nähe zur Familie (doch wie uneigennützig ist sie von der gastgebenden Seite denn wirklich, zumindest was Kevin anbetrifft?) wird er Zeuge vieler Dinge: der inneren Widersprüche, Leiden, Tabus und vielleicht auch Lebenslügen. Man sieht in ihm da erst einmal nur den Beobachter bevor man wahrnimmt, dass Vid selber Dinge verdrängt und flieht.
    Wird er sich diesen Dingen stellen ? Wie geht der Umgang mit der Familie aus ?


    Die Erzählung erfolgt aus einer nicht näher erkennbaren Zukunft : er berichtet von Erlebtem.


    Einige kleine Episoden und Exkurse erscheinen etwas unnötig, doch dann kann man ihnen durchaus auch eine Funktion zuordnen. Die Sprache und Fähigkeit zur Analyse stehen meines Erachtens etwas in Spannung mit anderen Charakterzügen des Ich-Erzählers. Hier scheint der Autor in seinen Sprachstärken durch...


    Insgesamt gesehen ein sehr interessantes Buch, ein Autor, der durch seine eigene Lebensgeschichte einen privilegierten Blick auf bestimmte Themenfelder hat !


    Hier ein Link zu einer Ausgabe in der Originalsprache :


    Paperback: 300 pages
    Publisher: Fourth Estate (31 Mar 2011)
    Language: English
    ISBN-10: 0007324839
    ISBN-13: 978-0007324835