Bevor die Rezi beginnt, möchte ich sicherheitshalber darauf hinweisen, dass es sich um Teil 6 einer Reihe handelt und inhaltliche Spoiler auf die Vorgängerbände im Text enthalten sein werden
Handlung
Zwei einsame, frustrierte Schwestern, die zusammen mehr Geld haben, als sie ausgeben können und deren Herz an einem einzigen Künstler hängt. Ein Künstler, der unglaublich produktiv war. Für dessen Werke sie extra ein Haus auf ihrem Grundstück errichtet haben, damit sie dort sicher verwahrt werden können, bis geklärt ist, was mit ihnen geschehen soll. Und vor allem ein Künstler, der vor seinem Tod seine eigene Schwester entführt und gequält hat.
Ilka kommt nach wie vor nicht mit den traumatischen Ereignissen zurecht. Und als bei der Testamentseröffnung klar wird, dass sie zusammen mit Thorsten Uhland - einem Freund ihres Bruders Ruben - für die Vermarktung der Bilder sorgen soll, die sie schmerzlich an ihre Entführung erinnern, kochen alle Gefühle und Ängste, die sie zu vergessen versucht hat, wieder hoch.
Ihre WG-Mitbewohner - allen voran ihr Freund Mike, aber auch die altbekannten Gesichter Jette und Merle - die für Ilka eine Art Familienersatz sind, versuchen das verstörte Mädchen so gut es geht auszufangen. Als dann aber ein Angestellter Thorsten Uhlands, der Rubens Bilder katalogisieren sollte, ermordet aufgefunden wird, beginnt sich die Geschichte langsam zuzuspitzen. Neben der Aufarbeitung ihres Traumas kommt nun auch die Gefahr auf neue, schlimme Erlebnisse dazu und Ilka droht in einer Art Strudel zu versinken.
Meine Meinung
Zugegebendermaßen habe ich seit Teil I nichts mehr aus dieser Reihe gelesen, weshalb mir verschiedene Personen und ihre psychischen Probleme erstmal etwas fremd waren. Trotzdem konnte ich mich dank des leicht zugänglichen Schreibstils schnell in die Geschichte einfinden.
Es gibt mehrere, parallel laufende Handlungsstränge, die jeweils aus der Sicht verschiedener Personen geschildert werden und die von Anfang an von dem selben roten Faden durchzogen sind, sodass man gleich alles in einen Kontext einordnen kann.
So positiv das auch klingt - für mich hat gerade zu Beginn der Geschichte einiges an Spannung gefehlt. Viele Charaktere mussten vorgestellt und eingeführt werden, es gab viel Gequatsche und weil jeder Charakter diverse psychische Störungen hat, auf die natürlich mindestens am Rande eingegangen werden muss, gestaltete sich der Einstieg für mich relativ zäh.
Sowieso ein großer Störfaktor für mich sind diese labilen Persönlichkeiten, die sich alle in der Geschichte zusammenrotten und eine Art Therapie-WG bilden. Sie alle haben mit verschiedenen Problemen zu kämpfen - unter anderem, dass in ihrem Umfeld offensichtlich ständig Menschen ermordet werden und der ermittelnde Kommissar ständig darüber besorgt ein muss, ob sich die Clique nicht in die Ermittlungen einmischt. Dennd as tun sie gerne und verlassen sich dabei nicht zwingend auf irgendwelche Beweise oder Indizien, sondern auf ihr Gefühl und auf irgendwelche Vorahnungen. Jetzt versteht mich nicht falsch: ich habe kein Problem mit Ermittlern, die sich hin und wieder auf ihr Bauchgefühl verlassen. Aber wenn der gesamte Fortschritt eines Mordfalls darauf basiert und nur dadurch neue Erkenntnisse erzielt werden können, ist mir das einfach ein bisschen zu abgehoben.
Auf der anderen Seite ist der Zusammenhalt der WG-Bewohner wirklich toll vermittelt und macht die Hauptfiguren sehr sympathisch. Dabei hat auch jeder seine eigene Rolle, in der er funktioniert: die aufbrausende Merle, die sanftmütige Jette, die sensible Ilka, Claudio der Macho (der nicht wirklich in der WG wohnt, aber doch sehr präsent ist) und der loyale Mike. Die Tatsache, dass es das perfekt passende Adjektiv für die einzelnen Charaktere gibt ist aber auch gleichzeitig wieder ein Negativpunkt, auf den ich hinweisen möchte. Jeder hat so sein Handlungskonzept und bewegt sich nur darin. Man kann Figuren entweder sympathisch oder unsympathisch finden - es gibt keine Hybriden, es gibt keine Ecken und Kanten und das ist etwas schade.Dennoch - oder gerade deshalb - hat man einiges an Identifikationsfläche und hat einen angenehmen Lesefluss.
Neben den Ermittlungen und den psychischen Problemen der Figuren ist die Malerei ein thematischer Schwerpunkt, der einen zumindest ein bisschen interessieren sollte, wenn man das Buch nicht todlangweilig finden möchte. Es gibt regelrechte Exkurse über Maltechniken und Kunst allgemein, und speziell Rubens Bilder werden detailiert beschrieben, was ich als sehr spannend und lesenswert empfunden habe, obwohl ich zur Malerei eigentlich keinen wirklichen Zugang habe.
Mein Gesamtfazit lautet also, dass dieses Buch für Fans der Reihe wahrscheinlich keine Enttäuschung sein wird, denn ich habe typische Merkmale aus dem ersten Teil definitiv wiedergefunden. Ich persönlich habe das Buch auch gerne gelesen; es ist lockere Lektüre für Zwischendurch. Für einen Thriller fehlte mir der Nervenkitzel, aber insgesamt kann ich noch vergeben.