Sommerkind

Buch von Monika Held

Bewertungen

Sommerkind wurde insgesamt 5 mal bewertet. Die durchschnittliche Bewertung liegt bei 4,2 Sternen.

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Rezensionen zum Buch

  • Rezension zu Sommerkind

    Verlagstext
    Ein einsamer Junge auf einer Bank, seine Hand ruht auf einem Kleiderbündel - auf dem Grund eines Schwimmbads liegt ein Mädchen mit offenen Augen: Woher kommen plötzlich diese Erinnerungen? Die vierzigjährige Wissenschaftlerin Ragna fürchtet, verrückt zu werden. Denn die Bilder, die plötzlich in ihrem Kopf auftauchen, kann sie keiner Erinnerung zuordnen. Das Gedächtnis ist keine Bibliothek, man kann dort nicht stöbern wie nach einem verlegten Buch. Ganz langsam setzt sie Puzzleteil für Puzzleteil zusammen und macht sich auf die Suche nach dem - heute erwachsenen - Jungen auf der Bank und seiner Schwester, die nach dem Schwimmunfall zum Sommerkind wurde.
    Die Autorin
    Monika Held ist Journalistin und Autorin und hat für ihre Arbeiten zahlreiche Preise bekommen. Sie lebt in Frankfurt a.M. Bei Eichborn erschienen „Augenbilder“, „ Melodie für einen schönen Mann“, der hochgelobte und vielübersetzte Roman „Der Schrecken verliert sich vor Ort“ und 2014 „Trümmergöre“.
    Inhalt
    Als Ragna 40 Jahre alt ist und als Wissenschaftlerin über erzählte Biografien forscht, muss sie sich eingestehen, dass es in ihren eigenen Kindheitserinnerungen einen großen weißen Fleck gibt. Sie hat ein Bild von einer leblosen Person in einem Schwimmbad vor Augen, aber die Vorgeschichte des Vorfalls scheint verloren oder verdrängt zu sein. So könnte ein Text über Monikas Helds neuen Roman beginnen. Oder: Max war ein Naturtalent darin, sich um Kinder zu kümmern, die nach einer Kopfverletzung nicht wieder ins Leben zurückfanden. Aber auch: Warum Menschen im Alter Sehnsucht nach der Landschaft ihrer Kindheit entwickeln, ist längst nicht ausreichend erforscht. Tatsächlich kann jeder Leser seine individuelle Tür wählen, um dieses außergewöhnliche Buch zu betreten; denn es gibt sehr persönliche Zugänge zur Geschichte von Ragna, Kolja und Max. Vielleicht gibt es mehr denkbare persönliche Zugänge zum Text, als ich mir bisher vorstellen kann.
    Mit 15 Jahren ist Kolja unsterblich in Ragna verliebt, die in die Klassenstufe über seiner geht. Ehe diese Liebe auch nur die Spur einer Chance erhält, steigt Koljas kleine Schwester eines Tages über den Zaun des Schwimmbads, um im Becken zu schwimmen anstatt im Meer wie alle anderen. Leblos im Schwimmbecken treibend, wird sie von Ragna gerettet, die Rettungsschwimmerin der DLRG ist. Was Malu sich bei ihrer Aktion gedacht hat und was ihr geschehen ist, wird für immer verborgen bleiben, weil sie nicht wieder aus dem Wachkoma erwacht. Kolja musste mit Mutter und Schwester umziehen, damit Malu in einem Pflegeheim betreut werden konnte. Im Heim nennt man jene Kinder Sommerkinder, die im Sommer verunglückt sind. Die Familie zerbricht an dem tragischen Ereignis. Koljas Kindheit ist von einem Tag auf den anderen zu Ende. Auf Außenstehende wirkt der Bruder wie ein aus dem Nest gefallenes Junges. Schweigen und unausgesprochene Schuldgefühle breiten sich so weit im Leben der Angehörigen aus, dass Kolja sich eine Zeit lang am Ende seines eigenen Lebens angekommen fühlt.
    Fazit
    Ragnas Suche nach ihren Erinnerungen und ihrer Kindheit erzählt Monika Held aus zwei Perspektiven, Ragna spricht in der Ichform über sich und ein allwissender Erzähler faltet die Geschichte Koljas und weiterer Nebenfiguren auf. Neben dem Ausfüllen des weißen Flecks in Ragnas Biografie geht es um Trauerprozesse von Überlebenden privater Katastrophen, um übersehene Geschwisterkinder, um Mütter, die das Thema Behinderung zu einer Vollzeitbeschäftigung machen, um die psychische Situation von Lebensrettern und die Funktion des menschlichen Gedächtnisses. Die anfangs märchenhafte Tonlage des bemerkenswerten Romans hat mich nicht durchgehend überzeugt; denn Kolja ist zum Zeitpunkt des Unfalls nach meiner Einschätzung kein Kind mehr. Selbstverständlich kann der Roman auch von circa 15-jährigen Jugendlichen gelesen werden, die in Ragnas und Koljas Alter zum Zeitpunkt des Unfalls im Schwimmbad sind.
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  • Rezension zu Sommerkind

    Diese Rezension ist keine einfache Sache, denn es gelingt kaum, ohne zu viel von der Story zu verraten.
    Die kleine Malu ertrinkt wegen einer kleinen Zwistigkeit mit ihrem großen Bruder Kolja, während dieser sich versonnen den Abendhimmel über dem Meer und seinen heimlichen Schwarm aus der Klasse über ihm, Ragna, als begnadete Schwimmerin im Meer anschaut.
    Erst viel zu spät wird Ragna aufmerksam, dass Malu nicht aus dem zu dieser Zeit geschlossenen Schwimmbad zurück gekommen ist, springt über den Zaun, birgt sie vom Beckenboden und belebt sie wieder. Wie erwähnt leider zu spät, was zudem bei einem Sommerkind fatal ist.
    So nennt man die Kinder, die während der warmen Jahreszeit ertrinken. Die Winterkinder haben deutlich bessere Chancen wieder zu genesen, da sie durch das kalte Wasser in eine Art Kältestarre fallen und der Sauerstoffmangel dadurch weniger Schaden im Gehirn anrichtet. Malu hingegen bleibt in einer Art Wachkoma und lebt ihr Leben fortan in einem bedauernswerten, passiven Zustand.
    3 Monate später zieht die angeschlagene Familie aus dem hohen Norden nach Süddeutschland, um Malu die denkbar beste Behandlung zukommen zu lassen in einer Klinik, in der sehr viele Sommer- und auch Winterkinder untergebracht sind.
    Schnell wird klar: Solche Dramen passieren leider und stets sind sie eine große Belastung für die übrigen Familienmitglieder. Im Fall der kleinen Malu hält die Familie diesem Druck nicht lange stand.
    Kolja wird von der Mutter als Schuldiger betrachtet - was objektiv gesehen sicher auch den Tatsachen entspricht. Doch Kolja war zu diesem Zeitpunkt selbst erst 15 Jahre alt und noch ein halbes Kind.
    Für Kolja werden die Wochen und Monate zu einem schweren Paket, das er zu schultern hat. Er gibt sich auch selbst die Schuld an Malus Unfall, was ihn innerlich zerfrisst, denn selbstverständlich ist er durch diese Schuld auch gleich Auslöser der Familiensituation.
    Ragna hat sich in den 3 Monaten zwischen Unfall und Umzug sehr eng mit Kolja befreundet, sodass man es als erste Liebe bezeichnen kann. Aus unerfindlichen Gründen hat sie sowohl den Unfall als auch die 3 Folgemonate und sogar den Namen ihrer ersten Liebe komplett vergessen - eine Teilamnesie. Durch einen Zufall kommen ihr Erinnerungsfetzen in den Sinn und sie gibt sich auf die Suche nach Kolja und ihrer eigenen Geschichte.
    Gleich vorweg: Der Schreibstil hat mir sehr gut gefallen! Ich war sofort in der Geschichte und auch die fehlenden Anführungszeichen bei der wörtlichen Rede haben meinen Lesefluss nicht gestört. Die Charaktere sind größtenteils liebevoll ausgearbeitet - lediglich Kolja hätte m. E. tiefer gehen können.
    Leider bin ich mit der übrigen Story nicht wirklich glücklich. Zu viele Fragen wurden aufgeworfen und liefen ins Leere. Das offene Ende störte mich dabei nicht einmal - die teils wichtigen Punkte der Erzählung wurden einfach im Galopp verloren, als ob sie eher nebensächlich gewesen wären.
    Nicht klärt sich, warum eine immerhin 16jährige Frischverliebte 3 Monate ihres Lebens "vergisst" und sich nicht einmal an den Namen des Jungen erinnert. Als ob auch in der Schule und Freundeskreis der Junge nie existiert hätte und nie über ihn gesprochen wurde.
    Auch einige andere Punkte werden tlw. sogar nur einmal - da allerdings ausführlich - erzählt und angeschnitten, aber tauchen dann ab als ob sie belanglos waren. Nur: Warum wird dann groß und breit darüber geschrieben, wenn es tatsächlich belanglos war?
    Am Ende des Buches kam es mir so vor, als hätte die Autorin dieses Thema der Sommerkinder so beschäftigt, dass sie unbedingt einmal ein Buch darüber schreiben wollte. Leider kamen dann noch einige Themen dazu und es wurde insgesamt einfach etwas viel für ein doch recht überschaubares Buch:
    Über die Aufopferung der Familienangehörigen, deren Schuldgefühle und zerbrechende Familien. Und über Jugendliche, die unter Schuldgefühlen zusammenbrechen auch. Über Menschen mit Teil-Amnesie und über Ärzte, die sich so aufopfern, dass sie Familienmitglieder von Patienten mit in Urlaub nehmen (Sorry - das war eine für mich absolut unrealistische Geschichte).
    Und über Schwule, die unglücklich verliebt waren. Und über die entsetzliche Erfahrung, wenn der besten Freundin ein Leid geschieht. Und über Heimweh, die Nordsee und das Leben auf einer Hallig sowieso.
    So viele Themen werden angeschnitten und etliche laufen leider ins Leere.
    Zum Cover sei gesagt, dass es zwar hübsch aussieht, jedoch leider nicht der tatsächlichen Szene entspricht. Für die Geschichte belanglos, aber mich stört es.
    Auch die Interpretation eines bekannten Märchens durch die Autorin fand ich recht eigenwillig.
    Fazit:
    Trotz dieser Story-Lücken hat die Lektüre dieses Buches mir wegen der wirklich sehr schönen Schreibweise Freude gemacht und ich konnte es wirklich verschlingen. Die Schwächen der Story erkennt man zum Glück erst nach dem Ende, wenn man merkt, dass keine Aufklärung mehr kommt.
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  • Rezension zu Sommerkind

    Kolja ist fünfzehn, als seine sieben Jahre jüngere Schwester Malu unbedingt im Freibad und nicht im Meer schwimmen will. Während er auf einer Bank sitzt und ein Buch liest, fällt ihm nicht auf, dass sie nicht zurückkommt. Vielmehr ist es Ragna, ein Jahr älter als Kolja und in ihn verliebt, die das bemerkt, aufspringt, losläuft, Malu reglos im Schwimmbecken liegen sieht und das Mädchen aus dem Wasser rettet. Doch ein normales Leben wird es nicht mehr sein. Malus Gehirn ist bereits geschädigt, sie fällt ins Koma. Malu ist ein Sommerkind.
    Es ist das Bild des kleinen Mädchens auf dem Grund des Beckens, das Ragna 25 Jahre mit Erinnerungen konfrontiert, die ihr nicht mehr gegenwärtig und lückenhaft sind. Im Rahmen eines Forschungsprojektes befasst sie sich mit der Frage, ob es einen erkennbaren Zusammenhang zwischen den Orten der Kindheit und dem Verlauf des Lebens gibt. Und ob der Mensch am Ende seines Lebens dorthin zurückkehrt.
    Sie begibt sich auf die Suche nach ihren Erinnerungen, nach Kolja und danach, was damals wirklich geschehen ist. Dabei begegnen ihr Menschen, die Kolja auf seinem Weg begleitet haben. Ragna trifft seine Mutter, Malu und spricht mit der Ärztin, die mit mehr Fürsorge und Augenmerk auftritt, weil sie die Sensibilität erkennt und die Schuldgefühle, mit denen Kolja belastet ist. Denn vor allem Koljas Mutter vermittelt ihrem Sohn, verantwortlich für das Geschehen zu sein. Zur Strafe muss er seine Schwester im Krankenhaus besuchen, und es ist nur verständlich, dass er darauf mit Abwehr reagiert. Stattdessen widmet Kolja seine Zeit und seine Zuneigung einem kleinen Jungen, der vom Wickeltisch gefallen ist und den er "Kai in der Kiste" nennt.
    "Der Satz, mit dem sie ihn fortschickte, verschmolz mit dem Geräusch der Tür, die sie leise hinter ihm ins Schloss drückte."
    Sommerkind ist ein emotional intensives Erlebnis. Der Roman besticht durch seine stille, tiefgründige, gleichwohl poetische Sprachgewalt und das psychologisches Feingefühl, mit dem Monika Held ihre Figuren porträtiert. Es gelingt ihr nicht nur, die Fassungslosigkeit der Eltern ob dieses Unglücks zu verdeutlichen, sondern auch die Einsamkeit und den Schmerz darzustellen, denen Kolja ausgesetzt ist und unter denen er leidet.
    Im hohen Maße schafft die Autorin eine glaubhafte Darstellung. Dabei erzählt sie zeitversetzt aus zwei Blickwinkeln. Ragna nimmt die Ich-Position ein, wodurch es stets möglich ist, an ihren Gedanken und Emotionen teilzuhaben. Hingegen wird Koljas Geschichte aus der Sicht von Dritten geschildert. Insgesamt beleuchtet die Autorin ein Geschehen, das unsagbar traurig und betroffen macht und doch nicht ohne Hoffnung und schöne Momente ist.
    Vielleicht ist am Ende nicht alles gesagt, aber so viel, dass die Geschichte schließen kann. Und es ist auch nicht wichtig. Denn Ragna und Kolja werden sich treffen, wenngleich wir nicht mehr dabei sind...
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Ausgaben von Sommerkind

Hardcover

Seitenzahl: 224

E-Book

Seitenzahl: 225

Besitzer des Buches 5

Update: