Widerfahrnis

Buch von Bodo Kirchhoff

Zusammenfassung

Inhaltsangabe zu Widerfahrnis

»Bodo Kirchhoff ist ein Meistererzähler, sein ›Widerfahrnis‹ trifft uns alle.« Literarische Welt Reither war bis vor Kurzem Verleger in einer Großstadt, nun lebt er in einem idyllischen Tal am Alpenrand. Eines Abends klingelt es bei ihm – und sein Leben wird ein anderes. Binnen drei Tagen ist er in Sizilien und die, mit der er dorthin fährt, ist Leonie Palm, zuletzt Besitzerin eines Hutgeschäfts. Beide verbindet, dass sie nicht mehr auf die große Liebe vorbereitet sind. Als am Mittelmeer das Glück über sie hereinbricht, schließt sich ihnen ein Mädchen an, das kein Wort redet und einfach nur da ist. Kirchhoff erzählt in seiner großartigen Novelle die Geschichte von einem doppelten Sturz: in die Liebe, ohne ausreichend lieben zu können, und in das Mitmenschliche, ohne ausreichend gut zu sein. Ausgezeichnet mit dem Deutschen Buchpreis!
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Bewertungen

Widerfahrnis wurde insgesamt 20 mal bewertet. Die durchschnittliche Bewertung liegt bei 3,6 Sternen.

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Rezensionen zum Buch

  • Rezension zu Widerfahrnis

    Das scheinbar belanglose Reden (anfangs dachte ich auch, wohin das gehen wird) entwickelt sich doch hinter der guten Schreibe zu einer echt guten Novelle. Womit ich schon angebe, dass sie sich für mich von *** zu ****/* entwickelte im Laufe des Lesens.
    Interessant – dachte ich – dass also ein « Geschehnis, Ereignis » sich als Keimzelle eines ganz neuen Lebensstranges entwickeln kann. Und in Widerfahrnis wird eventuell noch mehr das mir Zufallende und Unausgewählte dabei betont, aber nicht unbedingt einfach das mir « Konträre, Zuwidrige ». Und die Initiative bei der Widerfahrnis liegt halt woanders : hier bei der Hutmacherin in den ersten Kapiteln ; später beim Mädchen… Frage also : wie gehe ich mit Anstößen von außen um? Lasse ich mich auf sie ein ? Und plötzlich öffnet sich eine neue Perspektive. Ist das wirklich so unbekannt für uns ? Oder haben nicht viele Wendungen und Kreuzungen in unserem Leben mit scheinbar ganz seltsamen, kleinen Schritten angefangen ? Und so machen sich Reither (rider!!!) und Leonie auf den Weg. Er zB war schon mal einer anderen Einladung aus dem Weg gegangen : hatte das werdende Kind seiner Partnerin abgelehnt und Christine verloren. Und jetzt ? Bereit ? Sollten wir uns nicht alle ein wenig öfter wünschen, etwas Unvorgesehenes zu machen und ins Unbekannte aufzubrechen ?
    Genau zur Kapitelhälfte, nämlich Ende neuntes, Anfang zehntes Kapitel von 18, steht eine neue Möglichkeit offen, eine neue Widerfahrnis : das Mädchen. Von Anfang an nun der Widerstand bei Reither…, bis die Wunde da ist und er Angewiesenheit erlebt und plötzlich beschleunigt sich der Rhythmus nochmals in den letzten drei Kapiteln. Eine neue, « Heilige », Familie? Einladung, nicht abgelehnt ? « Dein Mann hat mich gerettet ! » Rettung von denen, wo wir uns als Retter glauben... Einige halten das für überzeichnet. Von einigen (nicht allen!) Begegnungen mit Flüchtlingen kann man nur verdattert sein, woher sie ihre Resilienz nehmen...
    Das ist schon toll und hat mich dann quasi im Endspurt begeistert ! Und wir verstehen auch noch, was Leonie vielleicht vor die Türe Reithers getrieben hat...
    AUTOR :
    Bodo Kirchhoff (* 6. Juli 1948 in Hamburg) ist ein deutscher Schriftsteller und Drehbuchautor, der Erzählungen, Romane und Drehbücher veröffentlicht. Er lebt in Frankfurt am Main und am Gardasee in Italien. Er besuchte die Volksschule in Kirchzarten und nach der Trennung seiner Eltern ab 1959 die Evangelische Internatsschule am Bodensee. Dort schrieb er bereits Gedichte und kleine Stücke für die Schulbühne. 1968 Abitur und darauf zwei Jahre Wehrdienst in Mengen.
    Nach einem längeren USA-Aufenthalt studierte Kirchhoff von 1972 bis 1979 Pädagogik, Psychologie und Soziologie an der Universität Frankfurt mit Diplomabschluss 1975. Im Jahr 1978 promovierte er mit einer Arbeit über den französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan (Vom Wider-Stand zur Wider-Rede) zum Dr. phil. Nach einer kurzen Tätigkeit als Heilpädagoge entschied er sich für die freie Schriftstellerei und erhielt auch seinen ersten Vertrag mit dem Suhrkamp Verlag.
    Privates Leben
    Kirchhoff ist verheiratet und hat zwei Kinder. 1988 kam sein Sohn Claudius zur Welt, dem er sein Buch Der Sandmann widmete, 1993 wurde seine Tochter Sophia geboren. Gemeinsam mit seiner Ehefrau gibt er in seinem Haus in Torri del Benaco am Ostufer des Gardasees Kurse für Kreatives Schreiben.
    (Quelle und mehr : wikipedia)
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  • Rezension zu Widerfahrnis

    Für meinen Geschmack hat der Sprachstil Kirchhoffs fast alles überlagert, sodass ich der Geschichte, die eh recht belanglos daherkommt, nicht allzuviel Aufmerksamkeit gewidmet habe. Dazu noch der unsympathische Protagonist - mit ist die Lust vergangen, mich da noch inhaltlich mit dem Buch auseinanderzusetzen. Aber ein Gutes hat die Geschichte: Ich habe meinem Herzallerliebsten bereits angekündigt, dass auch wir solche Reisen machen werden. Minimalgepäck und dann los - ohne große Planung. Mal schau'n, wo wir landen Und nun noch die Rezension:
    Julius Reither, Ende 60, alleinstehend, hat seinen kleinen, eher erfolglosen Verlag und die dazugehörende Buchhandlung verkauft und sich in ein ruhiges schönes Tal nahe Österreich zurückgezogen. Eines Abends klopft es an seiner Tür - Leonie Palm steht davor, die ebenfalls in der Appartementanlage wohnt und um seine Mithilfe bei einem Literaturkreis bittet. Spontan aus dem Gespräch heraus entschließen sie sich mitten in der Nacht zu einem Ausflug, der sich zu einer Reise nach Sizilien entwickelt. Und zu einer Liebesgeschichte.
    Doch das sind leider so ziemlich die einzigen Entwicklungen, die es in diesem Buch gibt. Der Protagonist ist ein überaus selbstmitleidiger Mensch mit pessimistischer Weltsicht und überheblichen Zügen. Auch seine Empathiefähigkeit ist sehr begrenzt: Oh ja, er setzt sich für Flüchtlinge ein, wenn diese drangsaliert werden und steckt ihnen Lebensmittel und Münzen zu. Doch sollen sie ihm bloß nicht zu nahe kommen und sein Leben stören. Selbst am Ende hatte ich den Eindruck, seine Handlungen resultieren mehr aus Pflichtgefühl als aus innnerer Überzeugung.
    Natürlich kann auch eine unsympathische Hauptfigur das Thema eines guten Romanes sein, keine Frage. Doch die Sprache dieser 'Novelle' ist stellenweise so gekünstelt und gedrechselt, dass ich mich nur noch fragte: 'Was will der Autor mir damit sagen?' Inhaltlich vermutlich nichts, nur einen Beweis seiner grandiosen Ausdrucksfähigkeit vorlegen. Einige Beispiele: '... Liebesromanen, jeder Umschlag nur ein Leugnen, wie sehr das Begehren das Sein verbraucht ...'; ihm war auch das recht, alles, um von der Schneide des Augenblicks herunterzukommen ...'; Worte waren das wie herausgestemmt aus einem ganzen Packen ähnlicher Worte, einem Packen, der verklumpt, ...'. Es gibt auch wunderbare Sätze, die das Herausschreiben lohnen: 'Die Leute haben gespürt, dass ihre Gesichter zu leer waren für Hüte.'; '... das wahre Gebrechen, es sitzt in den Gedanken, nicht in den Knochen.'; Aber leider sind sie in der Unterzahl.
    Es gibt einen Satz, der nicht nur das Wesen des Protagonisten darstellt, sondern auch sinnbildlich für das Buch steht: 'Das Lieben, das Vergehen darin, alles Schmelzen, er hatte es immer vermieden und dafür Bücher gemacht, die davon erzählten, jedes durch seinen Stift so verschlankt, so ausgedünnt, bis nichts mehr darin weich war, faulig, süß, nur noch Sätze wie gemeißelt, ohne die Klebrigkeiten, die Widerhaken der Liebe, all ihr Unsägliches.' Dumm nur, dass genau diese Eigenschaften das Wunderbare der Liebe ausmachen. Und auch ein gutes Buch
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  • Rezension zu Widerfahrnis

    […]
    Es beruhigt mich doch ein wenig, dass Du am Zweifeln bist und nicht komplett in Begeisterung ausbrichst Ich bin noch immer der Meinung, es ist überbewertet, aber vielleicht verstehe ich es auch einfach nicht
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    Ich glaube, das liegt auch teilweise daran, dass immer nur von Reither und im Kontrast dazu stets von Leonie Palm geredet wird. Das wirkt auf mich besonders bei der Frau gestelzt und hält mich künstlich auf Distanz. Ich habe erst letztes Jahr ein Buch gelesen, in dem der Protagonist immer mit vollem Namen genannt wurde, und es störte mich dort genauso wie hier.
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    Ja, ich empfinde selbst jetzt - ein paar Wochen nach Beendigung der Lektüre - das Ganze als fürchterlich überkonstruiert. Da sind zwei Menschen, wovon der eine - Reither - ja in der Grundsituation alles tut, um nur nicht dem anderen - Leonie - zu begegnen. Er drückt es ja deutlich aus am Anfang, dass er mit dieser Person keinen Kontakt wünscht. Und dann lässt er genau diese Frau einfach in die Wohnung und fährt zwei Stunden später einfach so mit ihr weg, in ihrem Auto, selbstverständlich er am Steuer? Neeee, nicht mit mir. Auch der weitere Fortgang ist für mich einfach nur überkonstruiert und zusammengebaut - nicht nachvollziehbar und nicht glaubhaft. Dazu kommen noch ein paar Logikfehler (z.B. sie haben unterwegs erst Kleider eingekauft, da sie ja spontan weiterfuhren, und dann verlassen sie einfach Catania und lassen die Sachen in der Ferienwohnung zurück?).
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    Was mich daran stört ist der Punkt, dass dieses Mädchen einfach so mit den beiden mitgeht. Gehen wir davon aus, dass es wirklich ein Flüchtlingskind ist (wir wissen es nicht genau, es wird nur einfach behauptet) - dann hat dieses Kind ja eine ganze Menge erleben müssen bis es in Catania angekommen war. Warum sollte dieses Mädchen einfach so mit den beiden mitgehen - in die Wohnung, auf den Markt, ins Auto …. das ist für mich genauso weit hergeholt wie der Anfang der Geschichte.
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    genau, siehe oben
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    Das ist genauso möglich wie die Projektionsfläche für die Gefühle der beiden - es passt beides und vielleicht soll es ja auch beides symbolisieren. Besonders Deine Deutung entbehrt ja nicht einer gewissen Grundlage und evtl. möchte Kirchhoff damit den helfenden Europäern einen Spiegel ihrer Reaktionen vorhalten.
    […]
    Danke, den hatte ich ja glatt verdrängt - dass der Mann Reither hilft, mag ja noch angehen. Aber dass die Familie dann einfach von Reither mitgenommen wird - ausgerechnet von ihm - und dann auch noch den Wohnungsschlüssel von Leonie bekommt, das geht zu weit. Wer soll das glauben, dass eine Familie aus Lagos einfach so in diese Residenz einzieht und dann lebten sie glücklich bis an ihr Lebensende?
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    Keine Ahnung, warum dieser Punkt so überstrapaziert wird - unglaubwürdig für mich auch das….
    Nein, je mehr ich über das Buch nachdenke (und das tu ich tatsächlich noch immer), desto mehr finde ich mich in meiner ersten Reaktion darauf bestätigt.
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  • Rezension zu Widerfahrnis

    Immer noch bin ich nicht sicher, ob ich ein hervorragendes Buch gelesen habe oder ein völlig überbewertetes literarisches Machwerk.
    Zum einen durchzieht die Flüchtlingsproblematik die gesamte Handlung, beginnend bei der Rezeptionistin Aster aus Eritrea in Reithers Wohnanlage; schon beim Brenner-Übergang fallen Reither die Leute auf, die zu beiden Seiten der Straße lagern, dann die zentrale Geschichte um das Mädchen, schließlich das Ende, das von dem Ehepaar aus Nigeria bestimmt wird.
    Die Funktion des Mädchens scheint umstritten, jeder Rezensent verleiht ihr eine andere Deutung. Ganz sicher geht es Leonie und Reither nicht um eine selbstlose Hilfe (die sich nach dem richten würde, was das Mädchen braucht), sondern um das Gefühl, helfen zu wollen. Reither sträubt sich bekanntlich ein wenig; er würde das Mädchen lieber offiziellen Stellen anvertrauen, doch er lässt sich von Leonie mitreißen, die das Kind mit ihren Hilfsangeboten überschwemmt ohne zu fragen, ob es tatsächlich das braucht, was Leonie ihr bietet.
    - Gehe ich zu weit, wenn ich diese beiden verschiedenen Arten, dem / den Fremden zu begegnen, als exemplarisch ansehe?
    Ich empfinde weniger die Geschichte um das Mädchen als zu dick aufgetragen, sondern die Geschichte um den Fischer aus Lagos, der Reither aus seiner Bredouille befreit. Eine moralische Keule? Oder ein versöhnliches Quid-pro-quo als Lösung des Verantwortungsdilemmas?
    Reither hatte als Lektor das Weiche, Zarte und Emotionale aus den Büchern, die in seinem Verlag erschienen, eliminiert. Auch aus seinem Leben, denn die einzige Liebesbeziehung, die er bisher erlebte, ist schon vor einigen Jahrzehnten zerbrochen, weil er den Abbruch der Schwangerschaft seiner damaligen Freundin befürwortete. Nun hätte er im letzten Drittel seines Lebens wieder eine Chance. Doch sein Kopf spricht in jede Gefühlregung hinein.
    Zum Rauchen: Als wüsste Kirchhoff nicht, dass Rauchen inzwischen gesellschaftlich geächtet ist. Was also provoziert er, wenn er beide Protagonisten auf fast jeder Seite eine Zigarette anzünden lässt? Bei der Lösung dieser Frage bin ich noch nicht weiter gekommen …
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  • Rezension zu Widerfahrnis

    Ob es von mir auch einen Buchpreis gegeben hätte, weiß ich noch nicht. Dazu braucht es immer ein paar Tage.
    Aber ich fand diese Novelle zumindest schon mal großartig.
    Zuerst dachte ich, dass es hierbei lediglich um eine Liebesgeschichte zweier älterer Menschen geht. Die sich in Ihr Alleinsein verkapselt haben und alles für sich schon abgehakt glauben.
    Mir gefiel diese anfängliche Melancholie der Geschichte sehr, die dann aber, bevor es zu schwermütig wurde, mit ironischen Wendungen aufwartete. Doch auch bei dieser Leichtigkeit blieb es nicht lange, und so wurde, dem Leser und den beiden Protagonisten gleichermaßen, die Wirklichkeit um die Ohren geprügelt und man wurde aus der gerade beginnenden und anrührenden Zweisamkeit wieder herauskatapultiert. Die letzte und für mich dritte Phase des Buches, hat mich dann absolut umgehauen.
    Mich lässt das Buch beeindruckt und mit einem Lächeln zurück. Was einem alles widerfahren kann, wenn man sich einlässt. Wie spannend "Leben" ist. In all seinen Fassetten. Und wie wenig einem widerfahren muss, um die Richtung wieder zu ändern, die man kurz vorher gerade eingeschlagen hat.
    Neben der beeindruckenden Sprachgewalt, steckt in diesem kleinen Buch wirklich alles drin: Hoffnung, Liebe, Verlust, Schmerz, Verzeihen und das alles verpackt in einem Roadtrip.
    Dieses Buch hätte ich sehr gerne in einer Leserunde gelesen. Ich befürchte, dass mir so einiges an Bedeutung entgangen ist.
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  • Rezension zu Widerfahrnis

    Das Leben als spätes Widerfahrnis
    Da treffen sich zwei Menschen, die widerwillig im Alter angekommen scheinen: er, Reither, der seinen Verlag aufgeben musste, weil es immer mehr Schreibende und immer weniger Lesende gibt, und sie, Leonie Palm, die ihr Leben lang Hüte verkauft hat, bis auch das am Mangel an Hutgesichtern scheiterte. Sie haben diesen Wendepunkt im Leben erreicht, wo aus all den vagen Wunschträumen für eine endlos erscheinende Zukunft auf einmal verpasste Chancen werden. Vergangene Enttäuschungen und Verluste, die man längst vergessen glaubt, schmerzen wie alte Narben.
    Gemeinsam fliehen diese beiden Menschen, die keinen Halt mehr finden in ihrem Leben, Richtung Sonne und ihrer Verheißung von Glück. In Sizilien begegnen sie einem Kind, das nicht spricht und gerade dadurch zur Projektionsfläche für etwas wird, das beide Protagonisten vermissen - er, weil er es nie hatte, sie, weil sie es verlor.
    Aber zunächst beginnt ihre Reise im späten Winter einer deutschen Großstadt, und auch das Buch erschien mir erst seltsam unterkühlt. Es wird aus Reithers Sicht erzählt, der nicht umhin kann, seine Erlebnisse aus einer gewissen Distanz zu sehen. So wie er als Lektor früher aus den Büchern alles Weiche und Sentimentale strich, lässt er es auch in seiner persönlichen Geschichte nur ungern zu. Gefiltertes Leben: Erleben und Erzählen gehen immer Hand in Hand - spröde, kalkuliert, und dennoch oder gerade deswegen mit glasklaren Momenten sprachlicher Schönheit.
    Umso erstaunlicher ist, wie plötzlich und ungebremst die Ereignisse auf einmal über ihn hereinbrechen. Leben, Lieben, Hoffen und Scheitern im Zeitraffer. Wider Willen lässt Reither seine Emotionen immer mehr zu, bis aus einem Gedankenspiel mit interessanten Motiven am Schluss doch noch ein Buch wird, das ins Herz trifft.
    In seiner Dankesrede sprach Bodo Kirchhoff unter anderem von der "Gratwanderung zwischen einem Erzählen, das wehtut und einem Erzählen, das guttut". Genau das ist es, was "Widerfahrnis" für mich ausmacht: Hoffnung, die dem Leser erst die Schwermut bewusst macht, und doch unausweichlich wieder in dieser mündet. Hilfsbereitschaft, die sich als egoistischer Selbstbetrug herausstellt. Aber umgekehrt auch Schmerz und Verlust, die einen Weg zu etwas Neuem bahnen.
    Kirchhoff bricht elementare Themen wie Schuld, Verlust oder Liebe herunter auf das Grundlegendste und setzt sie wieder zusammen zu einer Geschichte der leisen Töne, die dennoch eine starke Sogwirkung entfaltet und es dem Leser dadurch schwer macht, das Buch wegzulegen. Auch wenn diese Themen archaisch sind, vielfach in der Literatur aufgegriffen, ist "Widerfahrnis" doch alles andere als abgedroschen.
    Der Autor verzichtet gänzlich auf Pathos oder Kitsch. Sein Schreibstil hat etwas Klares, Schwereloses, und zeichnet sich dennoch durch messerscharfe Prägnanz aus. Das Wort, das mir spontan einfällt, ist "meisterhaft", und dennoch hat das Geschriebene etwas Zurückhaltendes.
    Die Geschichte ist fast schon ein Kammerspiel, denn Reither und Leonie verbringen den größten Teil des Buches in ihrem Auto. Dabei kommt man ihm als Leser schnell näher, während man sie zunächst nur dadurch kennenlernt, wie sie auf Reither reagiert - ein Schattenspiel, sozusagen. Aber gerade das ist spannend zu verfolgen, und am Ende versteckt sich im Ungesagten ihr Motiv für die Reise.
    Die Liebesgeschichte hat etwas bittersüß Anrührendes, gerade weil sie zu gleichen Teilen unmöglich und unaufhaltsam erscheint.
    Fazit:
    Die Geschichte eines "Widerfahrnis": zwei ins Alter gekommene Menschen versuchen sich an einer späten Erfüllung ihrer Träume, begeben sich auf einen spontanen Roadtrip nach Sizilien und durchleben in wenigen Stunden Hoffnung, Liebe, Schmerz, Scheitern, Verlust... Bodo Kirchhoff erzählt das schnörkellos und dennoch poetisch, und je länger man darüber nachdenkt, desto mehr Bedeutungsebenen entdeckt man. Obwohl es ohne Zweifel ein anspruchsvolles Buch ist, ist es dennoch auch ein Buch, das sich leicht und unterhaltsam lesen lässt, und in meinen Augen ist es auch ein Buch, das den Deutschen Buchpreis 2016 redlich verdient hat.
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Ausgaben von Widerfahrnis

Hardcover

Seitenzahl: 224

E-Book

Seitenzahl: 224

Taschenbuch

Seitenzahl: 224

Hörbuch

Laufzeit: 00:06:05h

Besitzer des Buches 30

  • Mitglied seit 7. Januar 2011
  • Mitglied seit 31. Januar 2021
  • Mitglied seit 17. März 2009
  • Mitglied seit 16. September 2019
  • Mitglied seit 29. September 2019
  • Mitglied seit 23. März 2017
  • Mitglied seit 25. August 2019
  • Mitglied seit 14. Juni 2017
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