Unter der Drachenwand

Buch von Arno Geiger

Zusammenfassung

Inhaltsangabe zu Unter der Drachenwand

»Ein Glanzstück der Gegenwartsliteratur.« Dirk Knipphals in ›die tageszeitung‹ Veit Kolbe, Soldat auf Heimaturlaub, verbringt ein paar Monate am Mondsee, in der Nähe von Salzburg, und trifft hier zwei junge Frauen. Was Margot und Margarete mit ihm teilen, ist seine Hoffnung, dass irgendwann wieder das Leben beginnt. Es ist 1944, der Weltkrieg fast sicher verloren, doch wie lang dauert er noch? Arno Geiger erzählt von Veits Albträumen, vom »Brasilianer«, der so gerne nach Rio de Janeiro zurückkehren würde, von der seltsamen Normalität in diesem Dorf in Österreich - und von der Liebe. Ein herausragender Roman über den Einzelnen und die Macht der Geschichte, über die Toten und die Überlebenden, über das, was den Menschen und den Krieg ausmacht.
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Bewertungen

Unter der Drachenwand wurde insgesamt 23 mal bewertet. Die durchschnittliche Bewertung liegt bei 4,2 Sternen.

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Meinungen

  • Gefällige Geschichte, stellenweise brilliante Formulierungen, aber für mich über weite Strecken zu langatmig.

    Mojoh

  • Leben im Kriegsalltag - sehr anschaulich aus der Sicht der "kleinen" Leute.

    Studentine

  • Ein absoluter Hörgenuss und eine einfühlsame Geschichte.

    BirgitRomeo

Rezensionen zum Buch

  • Rezension zu Unter der Drachenwand

    Ein Stück Zeitgeschichte, einfühlsam und spannend erzählt
    Mondsee 1944: wir treffen auf unterschiedlich Menschen, mit unterschiedlichen Schicksalen und Einstellungen zum aktuellen Zeitgeschehen. Da ist zum einem der verwundete Soldat Veit, der seine an der Ostfront erlittene Verwundung in der beschaulichen Idylle des Salzkammergutes auskuriert, zum anderen die Dorfbewohner oder die Kinder, die aus allen Teilen der Ostmark in die vermeintlich sichere Region „verschickt sind oder Margot, die Darmstädterin, die mit ihrem Kind hier gestrandet ist.
    Alle Lebenslinien verknüpfen sich hier zu einem mehr oder weniger festen Knoten. Keiner ist allein und doch einsam. Und so entspinnt sich zwischen Veit und der jungen Frau, trotz der widrigen Umstände in Form einer vom Regime noch immer überzeugten Quartiersfrau, eine zarte Romanze.
    Während einige Dorfbewohner nach wie vor an den Endsieg glauben, so hat Veit jegliches Vertrauen in seinen „Dienstherrn“, wie er die Wehrmacht nennt, verloren. Er versucht, seine Rekonvaleszenz deshalb mit allen Mitteln zu verlängern und schreckt auch vor dem Fälschen von Befunden nicht zurück. Nur Margot und Pervitin helfen Veit durch Tag und Nacht.
    Nachdem er fast ein Jahr in Mondsee verbringen konnte, ereilt ihn doch noch der Einberufungsbefehl …
    Meine Meinung:
    In seiner unnachahmlichen Art beschreibt Arno Geiger aus der Sicht von Ich-Erzähler Veit Kolbe die Umstände, die ihn und Margot in Mondsee zusammengeführt haben. Er erzählt von Opportunisten, Ewiggestrigen, Verzweifelten und Gegnern des Regimes.
    Wir Leser dürfen an sehr intimen Gedanken und auch an alltäglichen Handlungen teilhaben. Wir erhalten Einblick in Briefe zum Bespiel aus Darmstadt von Margots Mutter, die von den Bombenangriffen und Todesopfern schreibt. Gleichzeitig wird auf die mangelnde Versorgung der Bevölkerung hingewiesen. So wird Margot aufgefordert, die Paktschnur und das Packpapier wieder an ihre Mutter zu retournieren, weil dies in Darmstadt nicht mehr erhältlich sei. Interessant ist, dass die Post nach wie vor funktioniert. Erst kurz vor Kriegsende gibt es ein Paket-Sendeverbot. Das habe ich gar nicht gewusst.
    Die Geschichte der jüdischen Familie, die wie so viele zu spät und in die falsche Richtung geflüchtet sind, ist stellvertretend für Tausende ähnliche Schicksale.
    Kurz musste ich an der Stelle schlucken, als Wally und Georgi verschwinden und die Nachbarin die Kleider der beiden mit den Worten „Die werden sie nicht mehr brauchen“ haben wollte.
    Gut gefällt mir, wie eindringlich und zugleich beklemmend die Geschichte(n) erzählt werden. Dies wird von Arno Geiger nicht nur durch wechselnde Ich-Perspektiven und eine Handlung voll erschreckender sowie bewegender Momente dargestellt, sondern auch durch den roten Faden des Zweiten Weltkriegs.
    Der ergänzende Epilog enthüllt das weitere Schicksal der Protagonisten.
    Fazit:
    Packend und literarisch ein gelungenes Buch, dem ich gerne 5 Sterne und eine Leseempfehlung gebe.
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  • Rezension zu Unter der Drachenwand

    Bei einigen guten Rezis – danke auch an @Yurmala ! - in diesem Fred füge ich keine andere hinzu, nur ein paar Bemerkungen :
    Insgesamt gesehen gefiel mir dieser Roman ziemlich gut, wenn es auch für mich kein Fünf-Sterne-Buch wurde. Was mich besonders beeindruckt ist der authentische Ton, die gut und glaubwürdig hinübergebrachte Atmosphäre der verschiedenen Rahmenbedingungen jedes einzelnen Erzählstranges, ob es nun die Erfahrungen unter Bombenangriffen, die Verfolgung von Juden, ein Verliebtsein von zwei Heranwachsenden etc sein mögen. Ich meine, dass Geiger sich sehr gut hineinversetzen kann in das Erlebte seiner Helden, und auch für jede und jeden einen eigenen Ton findet. Dabei ist natürlich der weitaus größte Anteil dem Veit geschuldet.
    Ich bemängele ein wenig die Entscheidung, verschiedene Briefe (also verschiedenen Datums) einfach übergangs- und absatzloslos zusammenzuschmeißen. Nur ein eigenwilliger Entscheid ? Warum ? Es verwirrt beim Lesen mE unnötig. Die teils vorhandenen Dopplungen (die ja auch im wirklichen Leben unvermeidbar sind) werden dadurch noch seltsamer.
    Die Schrägstriche finde ich in einer schriftlichen Fassung ebenfalls gekünstelt, während sie in einer « atemlosen » Schilderung, stockend, springend, angebrachter wären ???
    Doch alles in allem ein prima Roman !
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  • Rezension zu Unter der Drachenwand

    Mit 24 Jahren hat Veit Kolbe schon mehr gesehen und erlebt, als ihm lieb ist. Er hat eine schwere Verwundung an der Ostfront überlebt und darf nun auf Genesungsurlaub nach Hause, doch im Elternhaus ist es ihm zu eng und zu spießig geworden, er glaubt schon lange nicht mehr an den Krieg und an den Führer und kann die Sprüche seines Vaters nicht mehr ertragen. Also fährt er zu seinem Onkel ins beschauliche Mondsee, der dort die kleine Polizeidienststelle leitet, nimmt sich ein nicht sehr komfortables Zimmerchen bei einer ewig grantigen Vermieterin und versucht, wieder zu sich zu finden, während seine körperlichen Verletzungen zu heilen beginnen.
    In der gleichen Unterkunft wohnt auch die etwa gleichaltrige Margot, die eigentlich aus Darmstadt kommt und nun mit ihrem Baby in Mondsee lebt. Den Vater der Kleinen hat sie kaum gekannt, als sie ihn heiratete, und nun steht er schon seit einer halben Ewigkeit mit seiner Einheit irgendwo in Ostpreußen und ist für Margot kaum mehr als eine vage Erinnerung.
    Als Schicksalsgenossen kommen sich Veit und Margot freundschaftlich näher, während im nahen Lager für "verschickte" Mädchen die dreizehnjährige Nanni nach ihrem drei Jahre älteren Cousin Kurt schmachtet und eine jüdische Familie sich eingestehen muss, dass es wohl doch besser gewesen wäre, schon viel früher zu fliehen, denn die tödliche Schlinge des Antisemitismus zieht sich unerbittlich zu.
    Es fällt mir gar nicht so leicht, in Worte zu fassen, warum mich dieses Buch so berührt und beeindruckt hat. Vielleicht ist es hauptsächlich Geigers Art, sich in die Protagonisten hineinzuversetzen, die Umstände gleichzeitig lakonisch und detailreich zu beschreiben und dabei kein Blatt vor den Mund zu nehmen, ohne aber zum Voyeur zu werden. Veits Ich-Perspektive ist durchsetzt mit Gedanken, die sehr erwachsen für sein Alter wirken, was kein Wunder ist bei dem, was er in so jungen Jahren wie so viele in jener Zeit schon erleben und erleiden musste.
    Man begleitet seinen Weg etwa ein Jahr lang und hofft inständig mit, dass er nicht wieder in den Einsatz geschickt wird. Geiger versteht es sehr gut, auch ohne viele Szenen von der Front deutlich zu machen, wie sinnlos junge Menschen im Krieg verheizt wurden, für eine unsägliche Ideologie und einen größenwahnsinnigen Demagogen, und dass es nicht feige, sondern höchst menschlich ist, nicht wieder in den Kampf ziehen zu wollen, um einen Krieg fortzusetzen, unter dem jeder leidet.
    Das Leid der Zivilbevölkerung wird ebenso deutlich - im Alltag, weil die Lebensmittel nicht reichen und auch alles andere knapp ist, aber auch durch verheerende Luftangriffe wie den auf Darmstadt im September 1944 -, und nicht zuletzt das Grauen des Holocaust.
    Nie hatte ich das Gefühl, dass Geiger die Geschichte hier sensationslüstern ausschlachtet, er konzentriert sich immer auf das Menschliche, die Psychologie und die Frage, was solch schreckliche Zeiten mit den Menschen machen und wie es gelingen kann, im Angesicht des Schlimmsten zu überleben, ohne durchzudrehen.
    Ein leises, aber sehr eindrucksvolles Buch, das ich gerne zu meinen Jahreshighlights zähle.
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  • Rezension zu Unter der Drachenwand

    Inhalt
    Der Icherzähler Veit Kolbe ist bisher sein ganzes Leben als Erwachsener Soldat gewesen. Nach einer Verwundung im Russslandfeldzug wird er 1944 in ein Bergdorf unterhalb der Drachenwand zur Genesung geschickt, in dem sein Onkel Johann Gendarmerieposten-Kommandant ist. Veit soll und will dem Onkel nicht auf der Tasche liegen, nimmt dessen Ratschläge jedoch gern an, wie er nun sein Leben als Untermieter organisieren kann. Zunächst ist der junge Mann froh, dass er die tagelange Reise im Lazarettzug überlebt hat. Ein kurzer Besuch bei seinen Eltern in Wien zeigte ihm, dass der Krieg die Ehe seiner Eltern verändert hat und das Verhältnis zu seinem Vater schwierig bleiben wird. Erst allmählich kann Veit die drängendsten Erinnerungen einordnen, die Flüchtlingsströme und die Vernichtung Behinderter, ohne die es das Lazarett nicht gegeben hätte, in dem er behandelt wurde.
    Außer Veit wohnt bei seiner Vermieterin Margot, eine „Reichsdeutsche“ aus Darmstadt mit ihrem Baby, deren Mann an der Front ist. Die beiden Untermieter und „der Brasilianer“, der fernwehgeplagte Besitzer der örtlichen Gärtnerei, bilden die Außenseiter im Dorf, deren Lebenswandel genauestens beobachtet wird. In einem Ferienlager sind Schulkinder aus Wien mit ihren Lehrerinnen evakuiert. Weitere Handlungsstränge entstehen aus Briefen, die zwischen einem Mädchen aus dem Ferienlager und ihrem Liebsten gewechselt werden, zwischen Margot und ihrer Mutter, zwischen Margots Eltern und zwischen Oskar Meyer, einem Wiener Juden, und seiner Cousine in Südafrika. Die Briefe waren damals einzige Kontaktmöglichkeit, sie wurden sehnlichst erwartet, von der Zensur verstümmelt, sind aber auch Zeitdokumente einer für den Einzelnen zermürbenden Mangelwirtschaft. Die Briefe zwischen Margots Eltern deuten einen gewaltigen Wandel im Männer- und Frauenbild jener Zeit an; denn noch macht sich niemand klar, dass die Kriegsheimkehrer in ausgebombte Städte zurückkehren und Tausende von ihnen körperlich und seelisch versehrt sein werden. Die Handlungsfäden, die sich aus den Briefen ergeben, werden am Ende miteinander verknüpft. Für ein Jahrzehnt, in dem viele Menschen lange warten mussten, bis das Schicksal ihrer Angehörigen geklärt werden konnte, eine überzeugende Symbolik.
    Es sind banale Alltagsproblem, die Margot und Veit gemeinsam zu stemmen versuchen. Die Tomaten in der Gärtnerei sollen z. B. angebunden werden, aber weit und breit sind keine Fäden aufzutreiben. Diese kleinen Nebenhandlungen verdeutlichen besonders eindringlich die Absurdität eines jeden Krieges und entlarven den moralischen Niedergang, wenn offen oder durch Denunziation ein anderer an die Front und damit in den sicheren Tod gewünscht wird.
    Fazit
    Anfangs habe ich mich skeptisch gefragt, ob ein weiteres Buch über den Zweiten Weltkrieg und den Nationalsozialismus geschrieben werden muss. Das liegt u. a. daran, dass nach 1960 geborene Autoren Figuren aus der Generation ihrer Großeltern bisher (für meinen Geschmack) selten überzeugend charakterisiert haben. Arno Geiger zeichnet hier für mich überraschend feinfühlig einen kriegsversehrten 24-Jährigen, der jederzeit damit rechnen muss, wieder für kriegstauglich erklärt und an die Front in Russland zurückgeschickt zu werden. Mit wenigen Sätzen schafft Geiger ein Dorf als Mikrokosmos, in dem unter dem Segel einer fanatischen Ideologie die Masken fallen.
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Rezensionen zum Hörbuch

  • Rezension zu Unter der Drachenwand

    Großartig! Natürlich habe ich das Buch gekauft und signieren lassen und ich freu mich sehr darauf. Ich denke, ich lese es gleich als nächstes.
    Arno Geiger wirkte während der ganzen Lesung ziemlich traurig und bedrückt, aber er hat wundervoll gelesen. Er hat dann auch zwischen zwei Leseteilen ein bisschen über seine Arbeit an dem Buch erzählt. Er hat schon 2005 (!), als "Es geht uns gut" erschienen ist, an diesem Buch gearbeitet und seitdem immer wieder - weitergearbeitet, recherchiert, skizziert, verändert, neu begonnen. Über 10 Jahre lang.
    Es war eine sehr intensive Stelle, die er vorgelesen hat und als er damit fertig war, hat er sinngemäß gesagt, dass ein Autor so eine Stelle nicht konsequenzlos - ich glaube, er hat sogar "unbeschadet" gesagt - schreiben kann. Ich hatte wirklich den Eindruck, es war die Arbeit an diesem Buch, die Auseinandersetzung mit dem Krieg und mit den Einzelschicksalen, die ihn so traurig gemacht hat. Vielleicht aber auch die Tatsache, jetzt mit dem Projekt, das ihn so lange begleitet hat, fertig zu sein. Es muss schwierig sein, die Figuren plötzlich loszulassen.
    Auf jeden Fall ist eine Lesung von Arno Geiger ein ganz besonderes Erlebnis. Wenn du Gelegenheit hast, ihn zu erleben: Unbedingt ergreifen!
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  • Rezension zu Unter der Drachenwand

    Inhalt:
    Mondsee, 1944 – Leben und Lieben im Schatten des 2. Weltkrieges in Österreich.
    Veit Kolbe verbringt ein paar Monate am Mondsee, unter der Drachenwand, und trifft hier zwei junge Frauen. Doch Veit ist Soldat auf Urlaub, in Russland verwundet. Was Margot und Margarete mit ihm teilen, ist seine Hoffnung, dass irgendwann wieder das Leben beginnt. Es ist 1944, der Weltkrieg verloren, doch wie lang dauert er noch? Arno Geiger erzählt von Veits Alpträumen, vom "Brasilianer", der von der Rückkehr nach Rio de Janeiro träumt, von der seltsamen Normalität in diesem Dorf in Österreich – und von der Liebe. Ein herausragender Roman über den einzelnen Menschen und die Macht der Geschichte, über das Persönlichste und den Krieg, über die Toten und die Überlebenden. (Quelle: Hanser Literaturverlage)
    Autor:
    Arno Geiger, 1968 geboren, lebt in Wolfurt und Wien. Sein Werk erscheint bei Hanser, zuletzt Alles über Sally (Roman, 2010), Der alte König in seinem Exil (2011), Grenzgehen (Drei Reden, 2011), Selbstporträt mit Flusspferd (Roman, 2015) und Unter der Drachenwand (Roman, 2018). Er erhielt u. a. den Deutschen Buchpreis (2005) für Es geht uns gut, den Hebel-Preis (2008), den Hölderlin-Preis (2011), den Literaturpreis der Adenauer-Stiftung (2011) für Der alte König in seinem Exil und den Alemannischen Literaturpreis (2017). (Quelle: Hanser Literaturverlage)
    Positive / Negatives / Fazit:
    Von Arno Geiger habe ich schon Einiges gelesen. Seit seinen bewegenden, Generationen übergreifenden Roman Es geht uns gut bin ich von seinem ausgefeilten Stil voll eingenommen. Er ist für mich eine der wichtigsten österreichischen Stimmen in der Literatur.
    In Unter der Drachenwand schildert Arno Geiger das letzte Kriegsjahr 1944 in Österreich. Der 24-jährige Tagebuch schreibende Stabsgefreite Veit Kolbe wird zum Ich-Erzähler. Eine schwere Granatverletzung an Bein und Oberkiefer hat ihn von der Ostfront auf Genesungsurlaub zurück zu den Eltern nach Wien gebracht. Doch desillusioniert wie er ist, stößt ihn die Atmosphäre im Elternhaus ab. Er sucht sich als Refugium den Ort Mondsee am Mondsee im Salzkammergut, unter einem schroffen Felsen – der Drachenwand, wo ein Onkel als Dorfpolizist waltet.
    In dieser neuen Umgebung lernt Veit Kolbe die Menschen kennen, bei denen er genesen wird, die doch alle den Krieg in sich herumtragen. Seine Quartiersfrau, raffgierig, psychisch labil, und seine Zimmernachbarin aus Darmstadt, eine junge Mutter mit Säugling, beide Frauen haben Soldaten als Ehemänner. Ein Gasthof am Ort beherbergt eine Wiener Mädchenschulklasse auf Kinderlandverschickung, deren Lehrerin im Drill die Nachrichten von der Front ausblendet.
    Die Kriegsverletzungen sind nicht nur körperlich auch unter plötzlich auftretenden Panikattacken leidet der junge Genesende. Der Amtsarzt verschreibt Veit Kolbe nur allzu willig das Aufputschmittel der Wehrmacht Pervitin (heute als Partydroge Crystal Meth bekannt). Heilen wird ihn das Psychopharmakon nicht, Menschen wie der „Brasilianer“, einfach geerdeter Bruder der Vermieterin, und die Darmstädterin werden ihm zu Eigenverantwortung und neuer Gesundheit verhelfen, auch wenn das Rückkehr an die Front bedeutet.
    Zwischen den Tagebucherzählungen lässt Arno Geiger in Briefen weitere Protagonisten zu Wort kommen.
    Die Mutter der Darmstädterin schreibt über den Alltag in einer reichsdeutschen Stadt insbesondre nach schweren Bombardierungen.
    Der Wiener Cousin eines der verschickten 13-jährigen Mädchen sendet zarte Liebesbriefe. Sein Leben verläuft in ganz anderen Bahnen als wie das einer Wiener Familie jüdischen Glaubens.
    Oskar Meyer zögert fast zu lange Wien zu verlassen, er beschreibt einer im neutralen Ausland lebenden Cousine von seinen Schwierigkeiten; ein Sohn darf auf einen lebensrettenden Kindertransport nach Großbritannien, mit Frau und jüngerem Sohn flieht er in letzter Minute ins Budapest der Hungaristen.
    Ein Nebeneinander voll Horror und Hoffnung macht das Besondere dieses großartigen Romans aus.
    Arno Geiger schildert glaubhaft den Alltag im letzten Kriegsjahr, dem täglichen Leben zu Zeiten der großen Geschichte. Er hat die Widersprüchlichkeit der Protagonisten sehr gut herausgearbeitet. Ob Nazi oder Mitläufer, sie zeigen alle widersprüchliche persönliche Züge, eben authentisch, lebensnah. In die Gefühlswelt der Nazis einzutauchen, hat sich Arno Geiger allerdings erspart.
    Nicht nur durch den Perspektivwechsel – Tagebuch, Briefe dreier Absender – wirkt der Roman abgehackt. Ein Schrägstrich taucht immer wieder mitten in den Paragraphen auf, ein Satzzeichen, das zum kurzen Innehalten beim Lesen, Luftholen beim Vorlesen einlädt.
    Für Literarisches Viellesende birgt Unter der Drachenwand einige Aha-Erlebnisse, literarische Reminiszenzen an andere Bücher. Arno Schmidt lässt grüßen, der Schrägstrich als Symbol für momentanes Innehalten tritt auch in seinem Werk auf. Veit Kolbes Onkel, ein kettenrauchender, Pflicht bewusster Dorfpolizist, hat einen norddeutschen Kollegen bei Siegfried Lenz in der Deutschstunde. Wenn die bombenschweren Geschwader über Mondsee fliegen, muss ich an die Zürcher Vorlesung von W.G. Sebald denken.
    Die Sprache der Protagonisten ist sachlich egal ob in den Tagebuchaufzeichnungen oder in den unprätentiösen Briefen. Eine von vielen kleinen erzählten Anekdoten soll als Beispiel zitiert werden:
    „Einmal in Russland fanden Kameraden und ich auf einer Wiese einen Totenkopf, ein beunruhigender Anblick, wir spielten mit dem Totenkopf Fußball, ich weiß auch nicht. Ich glaube, wir taten es aus Respektlosigkeit gegen den Tod, nicht aus Respektlosigkeit gegen den Toten. Der Tote hätten wir selber sein können. Wir traten den Totenkopf im hohen Bogen über die Wiese, und für einige Minuten gab der Krieg uns frei.“
    Krieg hinterlässt immer Spuren in den Seelen der Menschen, egal ob direkter oder indirekter Kriegsteilnehmer; hier ließ sich eine Brücke zu den aktuellen Kriegen (Jahrgang 2018) schlagen.
    Hörbuch ungekürzt vorgelesen von
    Torben Kessler, Michael Quast, Cornelia Niemann, Torsten Flassig
    Hörbuchverlag Hamburg, 2018, bei audible.de
    Spieldauer: 14 Stunden und 22 Minuten
    Vier Protagonisten werden in dem Roman zu Ich-Erzählern, vier Vorleser teilen sich den Text. Sie verstehen unprätentiös und exakt das geschriebene Wort in ein mitreißendes Hörbuch umzuwandeln.
    Ein kleiner Wermutstropfen war für mich ganz persönlich das Fehlen des typisch österreichischen Zungenschlags. Dass ein Stabsgefreite nach fünf Kriegsjahren bei der Wehrmacht hochdeutsch sprich, kann ich verstehen. Aber die so zarten Liebesbriefe eines 16-jähriger Wiener Schülers und erst späterer junger Soldat wünschte ich mir mit Wiener Akzent gelesen.
    Es bleibt ein durchweg gelungenes und daher voll empfehlenswertes Hörbuch.
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Ausgaben von Unter der Drachenwand

Hardcover

Seitenzahl: 480

Taschenbuch

Seitenzahl: 480

E-Book

Seitenzahl: 436

Hörbuch

Laufzeit: 00:14:24h

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