Original : Französisch, 2011
GENRE:
Biographie/biographischer, historischer Roman
ZUM INHALT /KLAPPENTEXT :
« Limonow ist nicht eine fiktive Person, sondern existiert wirklich. Ich kenne ihn. Er war ein Gauner in der Ukraine ; ein Idol des sowjetischen Untergrundes unter Breschnjew ; Obdachloser, dann Zimmerjunge eines Milliardärs in Manhattan ; bekannter Schriftsteller in Paris ; verlorener Soldat auf dem Balkan und ist nun, im immensen Chaos des Postkommunismus' in Russland, der charismatische Führer einer Partei junger Desperados. Er sieht sich als Held, man kann ihn als Schwein betrachten – ich für meinen Teil enthalte mich des Urteils.
Es handelt sich um ein gefährliches, zweideutiges Leben : ein richtiges Abenteurerleben. Dieses Leben, glaube ich, erzählt etwas. Nicht nur über ihn, Limonow, nicht nur über Russland, sondern über unser aller Geschichte seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. »
(Auszug aus der Einführung von Emmanuel Carrère )
ANMERKUNGEN :
Carrère führt sein Buch ein, indem er ausholend erklärt, wie und wann er dazu gekommen ist, über diese mehr als zweifelhafte Persönlichkeit diesen biographischen Roman zu schreiben (oder wie immer man das nennen will). Danach ist das Buch aufgeteilt in mehrere Teile (jeweils mit Unterkapiteln), in denen wir chronologisch und den Wohnorten entsprechend Limonow auf seinem Lebensweg bis circa 2009 verfolgen :
1943 - 1967 :Kindheit in der Ukraine als Sohn eines Tschekisten (= Vorfolgeorganisation des KGB unter Stalin). Bandenwesen, Wichtigkeit des Alkohols, Entdeckung eines literarischen Zirkels ; erste Heirat.
1967 - 1974 : Umzug nach Moskau ; Leben in literarischen Zirkeln des Undergrounds in steter Opposition zu allen... ; Lebensunterhalt als Schneider ; Zweite Heirat
1974 – 1980 : Aussiedlung in die USA ; Leben teils in den höchsten literarischen Kreisen von Exilrussen, dann Abwendung (« Milliardäre ») ; seine Frau verläßt ihn ; Leben in eher zweifelhaften Umfeld ; teilweise Obdachloser ; dann wiederum Angestellter bei einem Milliardär ; Schreiben an der eigenen Lebensmaterie
1980 – 1989 : Veröffentlichung des ersten Buches in Frankreich ; Umzug nach Frankreich und wohlwollende Aufnahme dort ; französische Nationalität
1990 – 1993 : Aufenthalte in Russland zu Zeiten der Veränderungen, auf dem Balkan auf Seiten der Serben etc.
1994 - 2001: definitive Rückkehr nach Russland ; Gründung der « nationalbolschewistischen Partei » ( http://de.wikipedia.org/wiki/N…istische_Partei_Russlands ) ; Altai
2001 – 2003 : Gefängnis und Lager
Abrundung durch einen Epilog...
(siehe auch ausführliche Vita und Bibliographie hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Limonow )
Ja, ich gebe all dies in Stichworten nieder, doch man erkennt schon an den Äußerlichkeiten die Extreme, die dieser Mann verkörpert. In solchen Stichworten gibt man aber vielleicht nicht so leicht wieder, dass Limonow mehr als streitbar ist und war : von teils extremer verbaler (und manchmal auch realer!) Gewalt erscheint er als größenwahnsinnig, der keinen neben sich duldet. Viele unserer liebsten Autoritäten finden keine Gnade bei ihm : vielleicht nur, weil sie den Platz eingenommen hatten, den er gerne bezogen hätte ? Die Mischung zwischen Meinungen der linken und rechten Extreme sind uns so wohl meist zuwider.
Aber so unsympathisch Limonow den meisten erscheinen sollte, schafft es Carrère, aus diesem Stoff ein Buch zu machen, das man einfach nur wie einen Abenteuerroman lesen kann, oder aber eben auch als sehr gute Beschreibungen sowohl der Person Limonows (der in der aktuellen politischen Szene Russlands eine Rolle spielt und auch für viele ein anerkannter Schriftsteller ist) als auch der verschiedenen Umfelder, in denen dieser wirkte. Und da lernt man eine Menge über die Sowjetunion der 40iger Jahre bis zum Russland von heute, von den USA, Frankreich etc (siehe oben). Es ist schnell klar, wieviel Vorarbeit und Fachwissen Carrère aufgebracht hat und wie verständlich er komplexe Themenkreise rüberzubringen versteht. Man hat im Nachhinein wirklich den Eindruck, manches besser verstanden zu haben. Dies allein lohnt schon das Lesen des Buches, das manchmal nicht durch Schönheit der Gesten oder Worte der Hauptfigur besticht ! Doch was Carrère draus macht... : Hut ab !
Über einen negativen Eindruck über die Hauptperson hinaus können wir allerdings auch in einigen Grundsicherheiten erschüttert werden, wenn demselben Limonov auch Gesten zugeschrieben werden, die irgendwie für eine Aufrichtigkeit und Unbestechlichkeit sprechen. Carrère sagt es ja selbst : vielleicht sollte man sich des definitiven abschliessenden Urteils enthalten ?!
Der Franzose setzt Elemente, Personen oder Orte des Lebens Limonovs manchmal auch in Bezug mit seinem eigenen Leben : manchmal haben sich diese Lebenswege gekreuzt. Und Carrère erzählt offen, wo er selber auch scheinbar untergeordnete Rollen spielt. Diese Erzählweise kennt man bei ihm schon von anderen Büchern. Bei allen Themenwechseln besticht dieses Buch durch seine Lesbarkeit, den Lesefluss.
Und während ich auf den letzten Seiten war, erhielt dieses Buch neben allgemeinen guten Kritiken hier in Frankreich vor einigen Tagen auch den « Prix Renaudot ».
Von mir eine ausdrückliche Empfehlung an die « Vorgewarnten » !
In Erwartung einer Übersetzung...
ZUM AUTOR:
Emmanuel Carrère, geboren am 9. Dezember 1957, ist ein französischer Schriftsteller, Drehbuchautor und Regisseur. Er studierte am Institut d'études politiques in Paris. Er war zunächst Filmkritiker und begann dann 1982 mit einem ersten Buch über Werner Herzog. 1983 erschien sein erster Roman. Oft kann man seine Bücher als „Autofiktion » bezeichnen.
Broché: 488 pages